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Schattenjagd

Schattenjagd

Titel: Schattenjagd
Autoren: Ernst Vlcek
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»Wir werden ihn tragen müssen.«
    »Das auch noch!« stöhnte Sadagar. »Was ich auf meine alten Tage alles auf mich nehmen muss! Da! Ich habe eine Decke mitgebracht.«
    Sadagar breitete die Decke auf dem Boden aus, und Mythor rollte den Rafher darauf. Dieser stöhnte und schlug schwach mit den Armen um sich, aber seine Gegenwehr erstarb sofort, als Mythor zu ihm sagte: »Halte still, wir wollen nur dein Bestes. Wir fliehen und nehmen dich mit. Vielleicht wirst du schon bald zu deinem Volk zurückkehren können.«
    Nachdem sie den Rafher in die Decke gehüllt hatten, packte Sadagar das Bündel am unteren Ende und Mythor am anderen. Der Rafher erschien Mythor so leicht wie eine Feder, aber Sadagar ächzte und stöhnte, als müsse er einen Felsblock vom Titanenpfad schleppen.
    Der Steinmann ging als erster aus dem Zelt. »Die Luft ist rein«, sagte er, und Mythor folgte.
    Draußen wurden sie von Harmod erwartet. Sein Gesicht lag halb im Schatten der Kapuze, und es wirkte angespannt, als er erklärte: »Ich habe die Wachen abgelöst, wie es mir Ganif aufgetragen hat. Mit etwas Glück wird man unsere Flucht erst im Morgengrauen entdecken. Das sollte uns einen genügend großen Vorsprung geben. Folgt mir!«
    Harmod hatte sich noch während des Sprechens in Bewegung gesetzt. Mythor und Sadagar schlossen mit ihrer Last zu ihm auf. Harmod blieb den Lagerfeuern tunlichst fern, und so erreichten sie ohne Zwischenfälle das Ende des Zeltlagers.
    Als sie unbeobachtet waren, lud sich Mythor den in die Decke eingewickelten Rafher einfach auf die Schulter, was ihm einen erleichterten Dankspruch Sadagars einbrachte.
    Sie hielten sich entlang den Laufvogelgehegen und kamen schließlich auf freies Feld. Der Himmel war schwarz wie der Samt von Sadagars Jacke. Dennoch war die Nacht nicht stockfinster, sondern wurde vom fernen Schein der Lagerfeuer etwas erhellt, so dass sich Mythor seinen Weg über den unebenen Boden ohne größere Schwierigkeiten suchen konnte.
    »Wir sind da!« sagte Harmod, als vor ihnen die Umrisse einer Mauer auftauchten. Es war die Ruine einer Lehmhütte. Dahinter war ein Diromo an einen Balken gebunden.
    »Ruhig, Kor-Yle«, sprach Harmod zu dem Laufvogel, nahm ihn am Zügel und zwang ihn, die stämmigen Beine abzuwinkeln und Kauerstellung einzunehmen.
    Mythor sah, dass das Tier gezäumt war. Er brachte den Rafher in einem seitlichen Tragegestell unter und befreite seinen Kopf von der Decke. Der Rafher gab keinen Laut von sich, aber sein Atem ging rasselnd.
    »Mythor und Sadagar, ihr nehmt die Trage auf der anderen Seite!« befahl Harmod. »Wir müssen zusehen, dass wir fortkommen, und werden ohne Rast durchreiten.«
    »Wie steht es mit Verpflegung und Ausrüstung?« erkundigte sich Mythor.
    »Ich habe Vorräte für ein paar Tage eingepackt«, antwortete Harmod. »Das Diromo ist einigermaßen ausgeruht und kann gut zwei Tage und zwei Nächte durchhalten, so dass wir keine Rast einzulegen brauchen.«
    »Es fragt sich nur, ob das der Rafher durchhält«, meinte Mythor, während er mit Sadagar auf dem rechten Reitgestell Platz nahm. »Und wie steht es mit Waffen?«
    »Genauso wie mit den Tänzerinnen«, antwortete Harmod. »Ich konnte nur meine eigenen Waffen, Pfeil und Bogen und Schwert, mitnehmen, ohne mich zu verraten. Seid ihr soweit?«
    Das Diromo erhob sich und setzte sich in Bewegung, zuerst langsam, dann immer schneller werdend, und bald schlugen seine schweren Krallen einen raschen, regelmäßigen Wirbel auf dem trockenen Boden.
    »Was ist unser Ziel?« erkundigte sich Mythor.
    »Rafhers Rücken«, antwortete Harmod. »Wenn wir irgendwo in diesem Land sicher vor Verfolgern sind, dann in diesem zerklüfteten Bergrücken, von dem unser stummer Freund herstammt.«
    Als habe sich der junge Rafher angesprochen gefühlt, begann er laut zu stöhnen. Mythor war sich jedoch nicht sicher, ob es Schmerzenslaute waren oder ob er versuchte, sich ihnen mitzuteilen.
    »Jemand sollte sich um ihn kümmern«, rief Mythor zu Harmod hinauf.
    »Bleibt, wo ihr seid!« befahl der Morone. »Der Wilde ist nur geschwächt, sonst fehlt ihm nichts. Er soll schlafen, und wenn er ausgeruht ist, werden wir ihn füttern, damit er zu Kräften kommt. Ihr solltet jetzt besser auch schlafen.«
    »Und was ist mit dir?« erkundigte sich Sadagar. »Willst du nicht einem von uns zeigen, wie man das Diromo führt? Was passiert, wenn du einschläfst?«
    »Dann wird Kor-Yle die eingeschlagene Richtung beibehalten«, antwortete Harmod. »Ihr könnt
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