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Schatteninsel

Schatteninsel

Titel: Schatteninsel
Autoren: Marko Hautala
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in ihrer Faust zu verstecken, doch er war zu groß. Sie drehte ihn so, dass das spitze Ende an ihrem Arm zu liegen kam, und zog mit der anderen Hand den Ärmel darüber. Besser so, als die Hand hinter dem Rücken zu verstecken. Sie blieb vor dem Spiegel auf der rechten Seite des Schreibtisches stehen und vergewisserte sich, dass der Stein nicht zu sehen war.
    Alles in Ordnung. Abgesehen davon, dass der Verband über dem linken Auge blutgetränkt war. Und abgesehen von der blassen, fast bläulichen Gesichtsfarbe. Die Augen lagen starrend in ihren dunklen Höhlen. Der Blick einer Verrückten.
    Langsam, auf das Geländer gestützt, ging Jenni die Treppe hinunter. Die Frau im Erdgeschoss sagte etwas, sprach vielleicht am Telefon. Sie verstummte, als die letzte Stufe unter Jennis Fuß knarrte.
    Jenni rief nach Miro.
    Zuerst war nichts zu hören. Eine erschreckende Stille. Vielleicht wollte Miro seine Mutter gar nicht mehr sehen. Dann die vertrauten schnellen Schritte.
    »Mutti«, sagte Miro leise. Er lächelte unsicher.
    »Hallo«, erwiderte Jenni und streckte ihm die freie Hand hin.
    Miro schien zu ihr laufen zu wollen, blieb dann aber stehen. Er trug wieder einen schwarzen Anzug und eine Krawatte, deren Spitze bis zum Hosenstall hing. In der rechten Hand hielt er eine dunkle Ledertasche.
    »Wir müssen zur Kirche gehen«, erklärte er. »Sobald Tante Ina zurückkommt.«
    »Stimmt«, sagte Jenni müde, »aber lass dich erst mal umarmen.«
    Miro blickte sich um, stellte dann die Tasche ab undkam zu Jenni. Als sie sich umarmten, sah Jenni durch ihre Tränen hindurch die Gestalt einer Frau an der Küchentür. Sie ließ Miro los und lächelte.
    »Bist du Agneta?«, fragte sie harmlos. Keinen falschen Schritt jetzt, kein Zaudern.
    Die Frau nickte und sah sie misstrauisch an.
    »Ich hätte gern ein bisschen Wasser«, sagte Jenni. »Mein Mund ist so trocken.«
    »Die gibt dir nichts«, murmelte Miro, »die ist total bescheuert.«
    Jenni legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte ihn.
    »Könnte ich Wasser bekommen?«
    Die Frau sah Jenni an, nickte dann mit gezwungenem Lächeln und ging in die Küche.
    Jenni beugte sich rasch zu Miro, fasste ihn am Kinn und sah ihm fest in die Augen. Sie schwieg, denn was sie zu sagen gehabt hätte, war nichts für Kinderohren. Miro sah sie fragend und ängstlich an. Jenni ließ ihn los und legte einen Finger auf die Lippen. Miro blieb stocksteif stehen und hielt den Atem an, als sie an ihm vorbei in die Küche ging.
    Die Frau stand an der Spüle und ließ Wasser in ein hohes Glas laufen. Das Rauschen des Wasserhahns übertönte Jennis Schritte, dennoch drehte die Frau den Kopf eine Spur nach links. Vielleicht spürte sie Jennis Nähe, vielleicht spiegelte sich ihre Bewegung in der Spüle oder im Lack der Schranktür. Jenni hob den Stein über den Kopf und schlug so fest zu, wie sie konnte.
    Die Frau stöhnte auf und schwankte. Ihre Hand fuhr über die Spüle, das Glas fiel um und rollte über den Rand, zerschellte auf dem Boden. Splitter flogen durch die Küche. Die Frau drehte sich um und sah Jenni mit gerunzelterStirn und fragender Miene an. Stöhnte erneut, als ginge es nur um Gelenkschmerzen. Über ihre Stirn lief Blut in den Augenwinkel und auf die faltige Haut an der Wange. Sie wollte etwas sagen, doch da schlug Jenni erneut zu. Als die Hand der Frau ihr ins Gesicht fuhr, taumelte Jenni zurück, stützte sich an der Wand ab und biss die Zähne so fest zusammen, dass ihr Kopf vibrierte. Die Frau war zusammengesackt. Sie saß auf dem Boden, an die Spüle gelehnt, und tastete mit der linken Hand ins Leere, als suchte sie instinktiv nach einer Stütze, die sie in ihrer eigenen Küche gefunden hätte. Ein unaufhörliches leises Klagen drang aus ihrem Mund. Jenni schlug wieder und wieder zu, bis die Frau still war. Schluchzend wich sie zurück, trat dann doch auf die Frau zu und durchwühlte ihre Taschen. Keine Autoschlüssel, kein Handy. Nur vom Blut glitschiger Stoff.
    Jenni drehte sich um und sah Miro.
    Er stand an der Tür, die dunkle Tasche in der Hand und sah abwechselnd Jenni und die zusammengebrochene Frau an. Seine Schultern hoben und senkten sich im Takt seiner heftigen Atemzüge. Jenni ließ den Stein fallen. Er landete polternd auf dem Fußboden.
    »Wir fahren jetzt«, sagte sie und wischte sich die Hände an der Hose ab. »Mutti erklärt dir später alles.«
    »Ich darf nicht weg«, sagte Miro mit dünner gepresster Stimme.
    »Wir fragen niemanden um Erlaubnis«, antwortete
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