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Schattenherz

Schattenherz

Titel: Schattenherz
Autoren: David Farland
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gekräftigt und ihm einen deftigen Händedruck verliehen. Selbst nach jahrzehntelangem Schlaf waren seine Muskeln noch fest und seine Hände mit Schwielen überzogen.
    Er eilte nach unten. Der Schankraum war voller Menschen.
    Um einige Tische drängten sich Bauern, die sich auf der Flucht nach Süden befanden, an anderen saßen Knappen, die mit ihren Lords auf dem Weg nach Norden waren. Die jungen Burschen beschäftigten sich damit, Klingen zu schleifen oder Leder und Kettenrüstungen mit Öl einzureiben. Einige der Lords, seltsamerweise mit Hemd und Kniehose und gestepptem Wams bekleidet, saßen längs der Bar auf Hockern.
    Der Geruch von frischem Brot und Fleisch war so einladend, daß Roland sein Gelübde bedauerte, hungrig von hier aufzubrechen. Daher nahm er auf einem unbesetzten Hocker Platz. Zwei Ritter stritten leidenschaftlich darüber, wieviel man einem Schlachtroß vor der Schlacht zu fressen geben sollte, und einer der Männer nickte Roland zu, als wolle er ihn auffordern, sich in die Auseinandersetzung einzumischen.
    Roland fragte sich, ob der Bursche ihn kannte oder ob er ihn lediglich wegen seines prachtvollen neuen Bärenfells, seiner neuen Jacke, Hose und Stiefel für einen Lord hielt. Er war sich bewußt, daß er wie ein Adliger aussah. Kurz darauf hörte er den Knappen jedoch den Namen Borenson flüstern.
    Der Wirt brachte ihm mit Honig gesüßten Tee in einer Schnabeltasse, und er machte sich über einen Laib Roggenbrot her, den er in eine Sauciere mit fetter Soße stippte, in der Schweinefleischbrocken schwammen.
    Während des Essens wurde Roland nachdenklich. Jetzt war er schon zum zweitenmal in einer Woche mit einem Kuß geweckt worden…
    Sieben Tage zuvor hatte er gespürt, wie ihn etwas an der Wange berührte – sachte und zaghaft wie eine Spinne, die über ihn krabbelt –, und er war klopfenden Herzens aus dem Schlaf hochgeschreckt.
    Zu seiner Bestürzung hatte er sich, mittags noch im Bett liegend, in einem düsteren Zimmer wiedergefunden. Die Wände bestanden aus schwerem Mauerwerk, seine Matratze aus Federn und Stroh. Er hatte den Ort sofort am salzigen Geruch der Meeresluft erkannt. Draußen kreischten Seeschwalben und Möwen, als wollten sie ein einsames Klagelied anstimmen, während gewaltige Meereswellen am Fuß des Turmes gegen aus uraltem Felsgestein geschlagene Festungsmauern brandeten. Irgendwie hatte Roland während all der Jahre, die er geschlafen hatte, im Sturm das Peitschen der Wellen gespürt, die den gesamten Bergfried unter ihrer Wucht erzittern ließen und ohne Unterlaß den Fels abschliffen.
    Er war im Blauen Turm aufgewacht, ein paar Meilen südlich der Höfe von Tide im Carollmeer.
    Das kleine Zimmer, das er bewohnt hatte, war in seiner Ausstattung überraschend kärglich, fast wie eine Grabkammer: weder Tisch noch Stühle, kein Wandbehang oder Teppich, um die nackten Wände oder den Boden zu bedecken.
    Kein Schrank für die Kleidung, nicht einmal ein Haken an der Wand, an dem man ein Kleidungsstück aufhängen konnte. Es war nicht als Wohnraum gedacht, hier sollte man nur endlos schlafen. Abgesehen von der Matratze und Roland selbst hatte sich in der winzigen Kammer nur eine junge Frau befunden, die am Fußende des Bettes, neben einem Wascheimer, erschrocken zusammengezuckt war. Er hatte sie im trüben Licht, das durch die salzverkrusteten Fenster hereinfiel, sofort bemerkt. Sie war ein süßes Ding mit ovalem Gesicht gewesen, die Augen blaßblau, das Haar strohfarben. Im Haar trug sie einen Kranz aus Trockenblumen – winzig kleinen Veilchen.
    Eine Berührung ihres langen Haars auf seinem Gesicht hatte ihn geweckt.
    Ihr Gesicht war vor Verlegenheit errötet, und sie war im Sitzen ein Stück zurückgeschreckt. »Verzeiht«, hatte sie gestammelt. »Herrin Hetta hat mich gebeten, Euch zu waschen.« Dabei hatte sie wie zum Schutz einen Waschlappen hochgehalten, als wollte sie ihre guten Absichten unter Beweis stellen.
    Ihre feuchten Lippen hatten allerdings nicht wie ein muffiger Lumpen geschmeckt, sondern wie der Kuß eines jungen Mädchens. Vielleicht hatte sie vorgehabt, ihn zu waschen, dann aber doch entschieden, sich ein wenig zu vergnügen.
    »Ich hole Euch Hilfe«, hatte sie gesagt und den Lappen in den Eimer fallen lassen. Dann hatte sie sich auf der Stelle halb herumgedreht.
    Roland hatte sie am Handgelenk gepackt, flink wie ein Mungo, der nach einer Kobra schnappt. Seine Behendigkeit war der Grund gewesen, weshalb er seinen Stoffwechsel in den Dienst des
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