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SchattenHaut

SchattenHaut

Titel: SchattenHaut
Autoren: Nané Lénard
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Warte, ich gebe sie dir mal.“
    „Tut mir leid, Herr Hetzer, aber der Befund ist wirklich eindeutig. Wir haben uns hier eben noch mal schlaugemacht. Frau Dr. von der Weiden hat wahrscheinlich CAIS oder eine besonders ausgeprägte Form von PAIS. Genetisch muss sie als Junge auf die Welt gekommen sein, mit dem Erscheinungsbild eines Mädchens. Das wird lange Jahre niemand gemerkt haben. Diese „Jungen“ können ihre eigenen männlichen Hormone nicht verwerten, darum bildet sich kein richtiger Penis aus. Eventuell zeigt sich eine etwas vergrößerte Klitoris. Die Hoden bleiben in den Leistenbeugen oder im Bauchraum stecken. Die Sache fällt erst in der Pubertät auf, weil diese Menschen keine Gebärmutter und Eierstöcke ausbilden. Es gibt daher keine Menstruation. Schamhaare wachsen diesen Menschen ebenfalls nicht, weil das Testosteron nicht verarbeitet werden kann.“
    „Das ist ja unglaublich.“
    „So unglaublich auch wieder nicht. Jeder 2.000ste Mensch wird auf irgendeine Art intersexuell geboren. Viele bemerken es nie oder es wird totgeschwiegen. Früher sind diese genetisch männlichen Mädchen dann während oder nach der Pubertät operiert worden. Man entfernte ihnen die Hoden, oft ohne deren Wissen, und gab weibliche Hormone, damit sich eine Brust entwickelte. Bei vielen ist später auch noch die Scheide vergrößert worden, da sie bei einer XY-Frau oft zu klein und zu kurz ist, da sie blind endet.“
    „Das ist alles ein bisschen viel auf einmal. Mensch, wie sollen wir denn jetzt damit umgehen?“
    „Warten Sie, ich gebe Ihnen Seppi wieder.“
    „Wolf, wir müssen handeln. Ich weiß, wie schwer das ist. Sie ist immerhin auch meine Kollegin und ich mag sie. Vorstellen kann ich mir das auch nicht, dass sie so etwas getan hat, aber bei der Lebensgeschichte, die sie hinter sich hat, ist es nicht auszuschließen, dass sie Menschen kastriert hat. Das ist immerhin genau das, was man auch mit ihr gemacht hat.“
    „Da hast du recht. Hier fügt sich das Bild zusammen. Im Schmerz des eigenen Schicksals. Was für ein Leben.“
    „Ja, aber das gibt ihr nicht das Recht, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Ich bin gespannt, was die Opfer mit ihr zu tun hatten, warum sie genau diese Menschen ausgewählt hat.“
    „Ich bin gespannt, was sie sagt. Aber wie soll ich mich denn jetzt verhalten? Hoffentlich merkt mir niemand etwas an. Mit dem Lügen habe ich so meine Probleme.“
    „Du sollst nicht lügen, nur schauspielern. Ich rufe jetzt die Kollegen an. Sie müssten dann bald bei dir sein.“
    „Sag ihnen, sie sollen Schneeketten aufziehen. Sonst kommen sie hier nicht hoch. Und ohne Tamtam. Alles ganz leise… Ich gehe jetzt zurück ins Esszimmer. Meine Güte, ich bin schon viel zu lange weg, fast eine Viertelstunde.“
    Als Wolf zum Esstisch zurückkam, saß nur Moni dort.
    „Na, wo ist denn Mica abgeblieben? Habt ihr euch nicht gut unterhalten?“
    „Doch, doch Wolf. Sie ist sich das Näschen pudern gegangen. Aber du kennst mich doch. Ich könnte mich auch mit Westerwelle unterhalten, ohne dass der merken würde, dass ich ihn für untragbar halte.“
    „Dann schließe ich aus deinen Worten, dass du Mica nicht magst?“ Hetzer sprach im Flüsterton weiter.
    „Das kann man gar nicht so sagen“, antwortete Moni leise, „sie ist intelligent. Sie ist witzig, aber irgendetwas stimmt nicht an ihr. Sie ist nicht authentisch. Schwer zu beschreiben, was ich meine. Es ist so, als ob sie eine Rolle spielt. Aber lass uns jetzt von etwas anderem reden. Sie wird gleich wiederkommen.“
    „Wie lange ist sie denn schon im Bad?“
    „Ungefähr fünf Minuten. Bevor du wiedergekommen bist, ist sie aufs Gäste-WC gegangen. Ich kann ja mal nachsehen. Vielleicht ist ihr schlecht geworden?“
    Moni stand auf und ging in den Windfang. Dort ging es links ins WC und rechts in den Hauswirtschaftsraum. Sie klopfte an die Tür.
    „Mica, ist alles in Ordnung? Geht es Ihnen nicht gut?“
    Aber es kam keine Antwort. Inzwischen stand schon Wolf hinter ihr. Er drückte die Klinke – abgeschlossen.
    „Mica!“, rief er und hämmerte an der Tür. Als keine Reaktion kam, sagte er zu Moni, sie solle ein Stück zurückgehen und warf sich mit aller Wucht gegen das Holz. Es knirschte leicht, aber die Tür gab nicht nach.
    „Guck mal, Wolf, ihr Rucksack ist weg und ihre Jacke auch. Und hier liegen die Socken. Sie scheint gegangen zu sein, ohne sich zu verabschieden.“
    Mit einem Mal wurde Hetzer von Panik ergriffen. Sie musste dem
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