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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott
Autoren: Uli Paulus
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Kriminelle den jungen Blaser nicht, dachte Luginbühl düster.
    Doch jedes Mitglied der Familie Imobstgarten war aufmerksam.
Hinter den Vorhängen bemerkte man dort fast alles, was ums Haus herum vorging.
Eines Tages tauchte Vater Imobstgarten im Polizeiposten auf und verlangte den
Postenleiter zu sprechen. Die Sekretärin Anna Rieder berichtete, dass Anton
Binggeli ihn nach einem längeren Gespräch sehr freundlich verabschiedet und sie
dann angewiesen habe, Luginbühl unverzüglich zu ihm zu schicken.
    Was sie genau besprochen hatten, wusste sie nicht. «Denkt ihr, ich
lausche beim Chef an der Tür?», fragte sie spitz, als der Gefreite Blatter so
taktlos war nachzufragen. Aber da Benjamin Luginbühl am Tag danach
krankgemeldet und auch nach Wochen nicht wieder aufgetaucht war, machten bald
Gerüchte die Runde: Luginbühl, so wurde getuschelt, sei zur Behandlung in eine
Nervenklinik eingewiesen worden. Er habe Imobstgarten ständig anonyme Briefe
voller Drohungen und Beschimpfungen geschrieben. Andere hatten gehört, dass
Vater Imobstgarten ihn nachts dabei ertappt habe, wie er versucht hatte, in
sein Haus einzudringen. Wieder andere glaubten zu wissen, dass er die Familie mit
nächtlichen Telefonanrufen terrorisiert habe.
    * * *
    Bruno Tadics Wege hatten sich seit der Begegnung in der Disco
nicht mehr mit denen seines Kontrahenten gekreuzt. Dennoch wurde Dölf
Imobstgartens Hass gegen ihn immer grösser. Mittlerweile hatte er sogar Erkundigungen
über seinen Feind eingeholt. Dabei hatte er erfahren, dass Tadic in Bremgarten
bei Bern geboren war und seine Eltern seit vielen Jahren im Besitz des
Schweizer Passes waren – und es empörte ihn zutiefst. Die Leute trugen den
Namen Tadic, also konnten sie keine richtigen Schweizer sein! Davon war
Imobstgarten überzeugt, und viele andere auf dem Bödeli dachten so ähnlich. Sie
hielten die Tadics für noch minderwertiger als die «Schwaben», diese arroganten
Papierlischweizer, die man auch nicht mochte.
    «Sämtliche ics sind Jugos und dafür
bekannt, das Schweizer Bürgerrecht durch unlautere Methoden zu erschleichen»,
sagte Imobstgarten zu jedem, der es hören wollte. Viele waren der gleichen
Meinung, und von den anderen widersprach ihm auch fast niemand. Seine Statur
und sein glatt rasierter Schädel mahnten zur Vorsicht. Mit einem «Skinhead»
legte man sich besser nicht an.
    Mit all dem, was er herausgefunden hatte, hätte Imobstgarten sich
vielleicht noch abfinden können, obwohl es ihn wurmte, dass Tadic mit einem
Meter fünfundneunzig um fünf Zentimeter grösser war als er. Aber dass er das
Gymnasium besuchte, war ihm unerträglich. Ein Jugo, der studieren durfte,
während er selbst, ein Schweizer mit reinem Stammbaum, sich mit einer
Berufslehre als Maler begnügen, hart arbeiten und jeden Rappen umdrehen musste,
bevor er ihn ausgeben konnte – das ging seiner Meinung nach zu weit.
    Seine Kumpels – manchmal waren es nur drei, manchmal aber mehr als
zehn – störten solche Dinge auch. Nicht dass sie grundsätzlich etwas gegen
Jugos gehabt hätten. Das versicherten sie immer wieder scheinheilig. Man wollte
ja nicht als Rassist dastehen. Viele der Jugos arbeiteten wie Imobstgarten und
seine Kumpels auf dem Bau oder in einem Handwerksberuf, und dort herrschten
klare Verhältnisse. Der Vorarbeiter, der Polier, der Meister, das waren
Schweizer. Und die Handlanger, das waren Jugos, manchmal auch Türken oder
Portugiesen. Bei Bruno Tadic aber war zu befürchten, dass er dereinst etwas
Besseres würde, Arzt vielleicht, Anwalt oder sogar Architekt.
    Tadic als künftiger Architekt, diese Vorstellung war für
Imobstgarten eine wahre Katastrophe. Wurde er Architekt, dann musste man eines
Tages von ihm Befehle entgegennehmen. Ausserdem würde er natürlich seine
Landsleute bevorzugen. Denn Jugo blieb Jugo, auch wenn er ein Schweizer
Bürgerrecht ergaunert hatte, da war sich Imobstgarten sicher.
    Bruno Tadic wurde für Imobstgarten zur Verkörperung einer mit Händen
zu greifenden Gefahr, die dem Vaterland drohte – einer grossen Gefahr sogar.
Wollte man nicht riskieren, einmal als Untertan im eigenen Land von diesen
Eindringlingen aus dem Balkan geknechtet zu werden, musste man handeln und die
Schlimmsten von ihnen jetzt schon aus dem Verkehr ziehen.
    «Und diesen Tadic als Allerersten!», forderte Imobstgarten und
schlug so kräftig auf den Tisch, dass das Bier in den Gläsern überschwappte.
Seine Kumpane grölten zustimmend.
    Nicht nur seiner imponierenden Statur
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