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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott
Autoren: Uli Paulus
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zu retten?
    So kam er auf den Gedanken, durch den Handel mit Drogen zusätzliches
Geld zu verdienen. Das war zwar unschön und zudem verboten. Dennoch sah er
darin eine Art Kavaliersdelikt; einige aus seinem Bekanntenkreis verdienten so
reichlich Geld. Kein Problem, sofern man nicht selber Rauschmittel konsumierte
und süchtig wurde, redete er sich ein. Das Geld, das er auf diese Weise
verdiente, wollte er sparen, um es bei gegebener Zeit für den richtigen Zweck
einzusetzen.
    * * *
    Benjamin Luginbühl war schon sehr lange Polizist. Im Städtchen
Unterseen kannte er jede Hausecke, jedes Gässchen, viele Wohnungen von innen,
und er kannte auch die Menschen im Ort, fast alle jedenfalls. Er vermittelte
ihnen das Gefühl, bei ihm gut aufgehoben zu sein. Besonders schätzten sie es, dass
er auch einen aufmerksamen Blick auf junge Burschen warf, von denen er glaubte,
sie könnten auf Abwege geraten.
    In den letzten Jahren waren das eindeutig mehr geworden. Einige von
ihnen waren Ausländer, die Mühe hatten, mit den Schweizer Gepflogenheiten zurechtzukommen.
Luginbühl hatte Verständnis für Menschen aus anderen Kulturkreisen, aber dass
sie sich den hiesigen Verhältnissen anpassten, schien ihm eine berechtigte
Forderung. Nicht unbedingt in den eigenen vier Wänden, aber auf der Strasse und
in den öffentlichen Lokalen. Aber dass einer Drogen konsumierte oder – noch
schlimmer – mit ihnen handelte, duldete Luginbühl auf gar keinen Fall. Dabei
spielte es keine Rolle, ob derjenige aus dem Ausland stammte oder reinrassiger
Schweizer war.
    Manche dieser Drogenhändler wurden auf frischer Tat ertappt und
verrieten, um die eigene Strafe zu mildern, wer noch alles seine Finger in den
unsauberen Geschäften hatte. Auf diese Weise kam Luginbühl einem auf die Spur,
an dessen patriotischer Gesinnung niemand zweifeln konnte. Der junge Mann hatte
sich sogar am Oberarm einen Wilhelm Tell tätowieren lassen. An der Antenne seines
Wagens war eine kleine Schweizerfahne befestigt, das Heck war gepflastert mit
Klebern wie «Die Schweiz den Schweizern» oder «Der beste Asylant ist ein toter
Asylant».
    Diese vaterländischen Parolen änderten nichts daran, dass jener
Bursche namens Imobstgarten in den einschlägigen Kreisen dafür bekannt war, am
gewerbsmässigen Handel mit Haschisch und Kokain mitbeteiligt zu sein. Um das zu
unterbinden, galt es, ein Auge auf ihn zu haben und ihn möglichst in Aktion zu
ertappen. Mit einem rechnete Luginbühl allerdings nicht: dass Imobstgarten von
einem Komplizen gewarnt worden war, also wusste, wer ihn beschattete und vor
allem, warum.
    * * *
    An einem lauen Juniabend schlenderte Dölf Imobstgarten durch die
Marktgasse Richtung Unterseen. Vor dem Bahnübergang bog er gemütlich nach links
in die schmale dunkle Aareckstrasse ein. Dort huschte er in eine Nische des
grossen Gebäudes auf der linken Seite und erwartete seinen Verfolger.
    Als Luginbühl ahnungslos in die Gasse einbog, traf ihn ein Schuss,
und er ging zu Boden. Was Imobstgarten, der sich sofort vom Ort des Geschehens
zurückzog, jedoch nicht ahnte: Er hatte schlecht gezielt und den Polizisten nur
in den Oberschenkel getroffen. Luginbühl nahm über Funk sofort mit seinem
Posten Kontakt auf und gab die Daten seines Angreifers durch. Eine
Viertelstunde später wurde Imobstgarten verhaftet, und der Gerechtigkeit konnte
Genüge getan werden.
    Doch es gab keine Gerechtigkeit für Luginbühl, sondern etwas ganz
anderes geschah: Im nachfolgenden Gerichtsverfahren, das im Spätherbst
stattfand, wurde die patriotische Gesinnung Imobstgartens als strafmildernd
gewertet. Man hielt ihm sogar zugute, dass er ehrlich geglaubt habe, für den
Kampf wider die Anmache der Ausländer gegenüber Schweizer Mädchen benötige er
so dringend finanzielle Mittel, dass seine Drogengeschäfte ihm unausweichlich
vorkamen.
    Imobstgartens Anwalt verteidigte seinen Mandanten geschickt und
verschaffte ihm viel Gelegenheit, sich als naiver, nicht übermässig gescheiter,
aber eigentlich nicht bösartiger junger Bursche zu präsentieren, der nun die
gebührende Reue zeigte: Leider habe er sich zu einer unüberlegten Handlung
hinreissen lassen. Niemals wäre es seine Absicht gewesen, auf einen Polizisten
eine Kugel abzufeuern. Seinen Verfolger habe er für einen Jugoslawen gehalten,
der ihn bedrohen wollte. Der abgegebene Schuss sei ein Akt reiner
Selbstverteidigung gewesen, weil er um sein Leben gefürchtet habe.
    «Ich bin der Polizei wohlgesinnt und wünschte
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