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Schattengott

Schattengott

Titel: Schattengott
Autoren: Uli Paulus
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allein reichte nicht aus: Er
musste auch noch eine Prüfung bestehen. Imobstgarten füllte das Anmeldeformular
aus. Einen Monat später wurde er zur Aufnahmeprüfung nach Bern aufgeboten.
    Als er im Zug zurück nach Interlaken sass, war er davon überzeugt,
bestanden zu haben. Am besten war es im sportlichen Teil gelaufen. Mit der
Schriftsprache hatte er zwar etwas Mühe gehabt, aber im Rechnen, glaubte er,
war er schon zurechtgekommen. Dann hatte es noch einen Psychotest gegeben.
Darunter hatte er sich nichts vorstellen können. Aber den Äusserungen seiner
Mitkandidaten hatte er entnommen, dass diese Psychologie sowieso ein Seich sei
und nicht ernst genommen würde.
    Einige Wochen später lag ein Kuvert der Polizeidirektion des Kantons
Bern im Postkasten. Die Mutter legte es in den Korb, aus dem immer vor dem
Mittagessen der Vater vor der versammelten Familie Briefe und Pakete herausnahm
und öffnete. Auch solche, die an die Mutter gerichtet waren oder an Dölf.
Imobstgarten senior nahm das Kuvert und schien schon, bevor er den Brief
öffnete, zu ahnen, was im Schreiben der Polizeidirektion stand. Beim Lesen
legte sich seine Stirn erst in tiefe Falten, dann verzog sich sein Gesicht zu
einem spöttischen, gemeinen Grinsen. Er schaute die Mutter an.
    «Ich hab es schon immer gesagt, der Dölf hat deine Dummheit geerbt.
Er wird Maler bleiben und sein Leben lang krampfen müssen.»
    Imobstgarten war am Boden zerstört, denn einen Grund für die
Ablehnung, die in dem Brief nicht erklärt worden war, konnte er sich nicht
vorstellen. Da war etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen! Ob das vielleicht
doch etwas mit diesem Psychotest zu tun hatte? Er musste an die Worte von
Traugott Frank denken, dem Führer der Rütlipartei: «In den staatlichen
Verwaltungen haben sich die Linken und die Gutmenschen eingenistet. Die classe politique verhöhnt das Volk. Sie treibt
Schindluderei mit unserem Kulturgut.»
    Was mit Kulturgut gemeint war, wusste Imobstgarten nicht so recht.
Und unter classe politique konnte er sich überhaupt
nichts vorstellen, obwohl man das in letzter Zeit immer wieder hörte. Aber er
fühlte sich in der Tat verhöhnt durch diese Zurückweisung seines aufrichtig
gemeinten guten Willens, das Vaterland zu schützen. Dass jemand anders als die
Linken und Gutmenschen, die nun offenbar auch die Polizei erobert hatten, für
diese Ablehnung verantwortlich sein konnte, war ihm unvorstellbar.
    Imobstgartens bisheriges Vertrauen in die staatlichen Institutionen
schlug in heftige Zweifel um. Als er dies seinem Vater anvertraute, stiess er
damit nicht nur auf Unverständnis, sondern auf blanke Wut, sodass nun auch
Vater und Sohn hintereinandergerieten. Zwischen ihnen entwickelte sich ein so
tiefes Zerwürfnis, dass es bald in eine offene Fehde umschlug. Dölf zog
schliesslich weg von zu Hause in Unterseen und mietete in Matten eine billige
Zweizimmerwohnung.
    Daheim hatte er es nicht gewagt, sich eine Glatze zu scheren, denn
sein Vater hätte das nicht geduldet. Jetzt aber wohnte er alleine und brauchte
sich nicht mehr um das zu kümmern, was sein Vater wollte. Seine Freunde
bewunderten ihn dafür. Die meisten von ihnen waren ungefähr Gleichaltrige aus
der Nachbarschaft seiner Eltern in Unterseen und wohnten noch daheim. Die Zahl
der «Skinheads» unter ihnen wurde dennoch bald grösser.
    Selbstzweifel wegen der erfolglosen Bewerbung an der Polizeischule
kamen bei Dölf nicht auf. Es waren die Linken und Gutmenschen, denen er diese
Niederlage zu verdanken hatte. Und weil das so war, lag in der Gesellschaft
wohl noch viel mehr im Argen, als er zuvor geglaubt hatte, und eine Veränderung
war umso nötiger. Die Schweiz wurde von innen durch eine Unzahl von
zuströmenden Fremden bedroht und von aussen durch die  EU und die UNO , die nur
darauf lauerten, die Schweiz aufzusaugen und ihr die jahrhundertelang bewahrte
Eigenständigkeit zu nehmen. Das Vaterland musste gerettet werden! Aber wie? So
genau wusste Imobstgarten das nicht zu sagen. Vage hatte er aber das Gefühl,
dass Geld nötig wäre, um ein solches Ziel zu erreichen. Das machte ihm schwere
Sorgen, denn sein Verdienst als Maler war gerade ausreichend, um davon zu
leben. Der einzige Luxus, den er sich leistete, war, zuweilen seine
Waffensammlung um das eine oder andere Exemplar zu vergrössern. Darauf
verzichten mochte er nicht – und ausserdem: Waren es nicht gerade Waffen, die
vermutlich besonders nötig sein würden, wenn es einmal anzutreten galt, das
Vaterland
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