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Schattengold

Schattengold

Titel: Schattengold
Autoren: Dieter Buehrig
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funktionslose Feuerzeug aus dem Mantel.
    »Hier dürfen Sie aber nicht rauchen!«, fuhr ihn Frau Cortes an. Sie konnte nicht ahnen, dass der Inspektor schon seit Längerem nur kalte Stummel in den Mund steckte. Er packte seine Rauchutensilien mit einem Entschuldigungsgrunzen in die Manteltasche zurück.
    Kroll fühlte, wie sich die Beweise häuften. Vor allem der Hinweis auf das unselige Konzert in der Musikhochschule, nach dem der Pedell mit seinem Patterdale-Terrier tot aufgefunden wurde, ließ ihn aufhorchen. Wieder eine Querverbindung, diesmal zwischen dem Fall in der Schule und dem in der Hochschule.
    Die Frage von Frau Cortes nach der Musik regte ihn an, seinen nächsten Besuch dem Theater abzustatten. Schließlich hatte man auch dort einen Toten mit einem ominösen Zettel gefunden.
    Von der Sekretärin des verstorbenen Direktors erfuhr er, dass sich an dem bewussten Tag eine junge Sängerin zum Vorsingen angemeldet hatte. Die Personenbeschreibung passte auf die Tochter der eben besuchten Frau Cortes. Das alles konnte kein Zufall sein. Und, um das Maß vollzumachen: Diese junge Frau hatte mit seinem Hauptverdächtigen, dem Uhrmachergesellen, gemeinsam musiziert. War sie vielleicht seine Komplizin?
    Sollte sich die ganze Geschichte doch als ein riesiges Komplott erweisen?
    Die Besichtigung des Tatortes in der Musikhochschule schenkte er sich. Stattdessen steuerte er zielstrebig auf das gegenüberliegende Marionettenmuseum zu. An der Ecke stand, nicht unbedingt unauffällig, ein Kriminalbeamter in Zivil, wie er es angeordnet hatte. Man grüßte sich aus den Augenwinkeln.
    Krolls Dienstausweis zeigte bei der gehörlosen Kassiererin keine Wirkung. Er musste wohl oder übel Eintritt zahlen. Schließlich war es kein öffentliches, sondern ein privates Museum.
    Die Puppen und Marionetten faszinierten ihn. Das entsprach genau seiner Fantasie. Nur schade, dass er dem Kindesalter entwachsen war, dachte er sich.
    Vor dem Schulreiter Hansi mit seiner Rosinante blieb er lange Zeit stehen. Richtig, das waren sie, die kleinen braunen Kugeln, von denen er eine in der Tasche des toten Mädchens gefunden hatte. Musste es wegen dieser Kugel sterben? Und wie hatte man den Tod herbeigeführt, ohne dass die Polizeispezialisten auch nur die geringste Spur von Gewaltanwendung nachweisen konnten?

     
    *

     
    Kroll spürte, dass er kurz davor stand, den Gordischen Knoten, den seine Fälle inzwischen gebildet hatten, zu lösen. Um seine Gedanken in Ruhe zu sammeln, lenkte er am Nachmittag des gleichen Tages seine Schritte zum
St.-Annen-Museum, das neben dem Domhof zu den beschaulichsten Orten in diesem Stadtteil zählte. Hier reichte das Vorzeigen seines Dienstausweises, um freien Eintritt zu erhalten.
    Er kümmerte sich nicht um die Sammlung der mittelalterlichen Altäre und um das aufgeschlagene Antiphonar aus dem Jahre 1520, das er sonst immer bewunderte. In dem Buch mit den Texten und Melodien der Stundengebete der Mönche würde er sicherlich keinen Hinweis finden.
    Er begab sich direkt in den sogenannten Puppenhof, dem abgeschiedenen, von einem Kreuzgang umfassten Innenhof des ehemaligen Klosters. Der Name stammte von den Originalsandsteinfiguren, die einstmals auf der Puppenbrücke über dem Stadtgraben vor dem Holstentor gestanden hatten und nun aus konservatorischen Gründen den Besucher des Gartens im St.-Annen-Museum erfreuten.
    Hier auf einer Bank mit Blick auf den nackten Hintern des Merkur fühlte sich Kroll wohl. Die schräg einfallende Nachmittagssonne warf gespenstische Skulpturenschatten auf den Rasen. Touristen verirrten sich nur selten in das Geviert. Gelegentlich spielten ein paar Kinder, denen der Rundgang im Museum zu langweilig war, auf dem Hof Verstecken und amüsierten sich über den nackten Po.
    Zum Schmunzeln fehlte dem Inspektor heute jeder Sinn. Ihm jagten alle möglichen Theorien durch den Kopf. Aber keine passte so recht auf die bislang bekannten Tatsachen.
    Kroll fummelte an seinem defekten Feuerzeug. Die gedrehte Kippe in seiner Tasche war inzwischen völlig zerbröselt. Nachdenklich steckte er sich einen Krümel Tabak in den Mund und kaute müde darauf herum.
    Nachdem er etwa eine Viertelstunde gesessen hatte, betrat ein Besucher von der gegenüberliegenden Pforte den Hof. Er hielt einen Museumsführer in der Hand und studierte ausgiebig die Figuren. Kroll war dermaßen in Gedanken versunken, dass er ihn zunächst gar nicht bemerkte. Als der Mann vor dem Merkur stehen blieb, fiel ihm ein Briefumschlag
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