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Schattengold

Schattengold

Titel: Schattengold
Autoren: Dieter Buehrig
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schloss sich ihnen im Geiste an: »Und ich hab meine Ruhe.«
    Die Sitzung der Kulturkommission fand in der Schiffergesellschaft, dem ehemaligen Gildehaus der Seefahrer und Reeder statt. Der Ratsweinkeller war wegen einer wichtigen Präsentation des Tourismussenators ausgebucht.
    Das alte Backsteinhaus hatte schon wichtigere Tage erlebt. Früher gingen hier Seeleute, Kapitäne und Reeder durch den Eingang mit den beiden Beischlagwangen – das waren Sitzbänke, die man ›beischlagen‹, also hochklappen konnte – aus gotländischem Kalkstein, um ihre Streitigkeiten zu schlichten, um Schiffspässe auszustellen oder um von den Schiffsreisen zu berichten. Heute war es eine gutbürgerliche Gastwirtschaft und Anziehungspunkt für Touristen.
    Einen abgeschlossenen Raum gab es nicht, wie es die Satzungen eigentlich vorschrieben. Von der Theke her drang ständig Lärm einiger Angetrunkener herüber zur illustren Runde.
    Die von der Decke herabhängenden Schiffsmodelle und Kronleuchter schwebten, geisterhaft in Lichtspots eingehüllt, über den Köpfen der auf langgestreckten, unbequemen Holzbänken sitzenden Kommissionsmitglieder wie Damoklesschwerter. Als wollten sie drohend unterstreichen, dass hier die Zeit stehenzubleiben habe. Als wollten sie sagen: Wehe, wenn nicht alles beim Alten bleibt!
    Das passte denn auch gut zur heutigen Veranstaltung.
    Der Oppositionsführer im Stadtparlament ließ sich, entgegen seiner damaligen Ankündigung, nicht zum Vorsitzenden der Sonderkommission einsetzen. Dazu war er ein zu kluger Politiker und wusste, wie man eine Sitzung zu seinen Gunsten lenken konnte.
    Viele hielten ihn für einen jovialen Kumpel. Er brachte stets einen Witz über die Lippen, in der Art: »Kennen Sie den schon? – Was ist der Unterschied zwischen einer Frau und einem Telefonhörer?« Keiner kannte den faden Witz, jeder lachte auf seine Weise. Und so – er lachte am lautesten über seine eigenen Witze – unterschied er Freund und Feind.
    Heute versuchte er es auf die humorlose Art.
    Geschickt setzte er sich an das eine Ende der Tischrunde, während seine Frau, die für den städtischen Kulturetat zuständig war, einen Platz auf der entgegengesetzten Seite einnahm. So steuerte man gut die Runde: Sie verteilte Zuckerbrot, er schwang die Peitsche.
    Zur Versammlungsleiterin erkor man die Frau Ratskämmerin. In ihrer naiven Art und mangels Sachkenntnissen konnte sie keinen Schaden anrichten. Sie gehörte zu den Menschen, denen man im Stillen wünschte, dass sie wirklich so alt werden würden, wie sie jetzt schon aussahen.
    Die Kultursenatorin, die eigentlich die Sitzung hätte leiten sollen, ließ sich durch ihren Abteilungsleiter vertreten. Sie hatte Wichtigeres zu tun. Heute war schließlich Museumsnacht. Da musste sie sich blicken lassen. Und außerdem liebte sie es, sich durch die Museen zu prosten.
    Ihr Stellvertreter blickte überhaupt nicht durch und brachte lediglich ab und zu zerstreut wirkend die falschen Worte am falschen Platz an, weil er irrtümlich annahm, er müsse die Versammlung leiten. Wenigstens hatte der konservative Block der Kulturpolitiker auf diese Weise die Meinung der Mehrheit in der Tasche.
    Auch der stellvertretende Abteilungsleiter Verkehr galt als Linientreuer, obwohl er früher einmal durchaus seinen eigenen Kopf zu gebrauchen wusste. Jetzt war er alt und müde geworden.
    Herr Cortes verteilte Kopien früherer Protokolle, um aus alten Ratsbeschlüssen zu zitieren, die seiner Meinung nach eine gute Grundlage für die heutige Diskussion bilden konnten. Die Mitglieder der Kommission fühlten sich gestört, als Herr Cortes die Probleme auf eine sachliche und transparente Weise zur Sprache brachte. Schließlich wünschte man keine Diskussion, man wollte sich zum gemütlichen Stammtisch treffen.
    Kaum hatte der arme Physiklehrer angesetzt, platzte dem Abteilungsleiter Verkehr der Kragen. Er ließ Herrn Cortes gar nicht erst ausreden.
    »Zum Teufel mit den alten Beschlüssen! Die brauchen wir nicht. Die können Sie in den Papierkorb werfen. Wir kommen auch ohne aus. Wer will uns denn kontrollieren? Schließlich sind wir hier in Lübeck eine Gemeinschaft. Warum soll nicht alles so bleiben, wie es war? Das hat sich doch bewährt. Wir haben die Nase voll von all den Gesetzen und Paragrafen!«
    »Genau!«, ließ sich die Versammlungsleiterin vernehmen. Schließlich musste sie ihre Anwesenheit demonstrieren. »Diese ewige Besserwisserei geht mir langsam auf den Geist!« Ein mutiger Satz, dachte
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