Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schattenfeuer

Schattenfeuer

Titel: Schattenfeuer
Autoren: Kristen Callihan
Vom Netzwerk:
bereits in Händen haben. Archer wusste, dass er sich für das, was er getan hatte, schuldig fühlen sollte. Doch das konnte er nicht. Er brauchte sich nur Mirandas bezauberndes Gesicht vorzustellen, und ihren offenen Blick, als er ihr seine goldene Münze gegeben hatte, in einem törichten Versuch … wozu? Sie zum Bleiben zu bewegen? Ihr Hoffnung zu geben? Er wusste nicht genau, warum er ihr eine Münze gegeben hatte, er wusste nur, dass er ihr die Welt schenken würde, wenn er könnte. Doch sie hatte kein Geschenk von ihm gewollt. »Ich nehme keine Geschenke von Fremden an«, hatte sie zu ihm gesagt. »Doch auf Tauschgeschäfte lasse ich mich sehr wohl ein.«
    Archer berührte das Messer, das sie ihm zugeworfen hatte, und das er nun an den Unterarm geschnallt trug, ein schlankes Chatellerault mit einem Griff aus schwarzer Emaille. Schön, elegant, wie sie. Sein Verlangen nach ihr überwältigte das Schuldgefühl.
    Amars Unterhaltung drang an seine Ohren und riss ihn wieder zurück in die Gegenwart, wo er besser auch sein sollte, wenn er noch einen Funken Verstand besaß. Der Mann warnte seine Mitverschwörer gerade davor, gleich zuzuschlagen. Sie würden Archer überrumpeln, sobald er auf sein Zimmer im Shepheard’s zurückgekehrt war. Ein riskantes Manöver, denn es würde die Engländer wütend machen, aber dreist genug, um Erfolg zu haben. Archer lächelte dünn, dann trieb er sein Pferd vorwärts, gerade als die Strahlen der untergehenden Sonne hinter der großen Pyramide hervorbrachen.

2
    London, 1. März 1879
    Frühling lag nun in der Luft, eine zarte Liebkosung, die die Menschen Londons ein wenig beschwingter dahinschreiten und ihre angespannte, zusammengekauerte Haltung abwerfen ließ, die ihnen von der beißenden Kälte des Winters aufgezwungen worden war. Was es Mirandas flinken Fingern natürlich leichter machte, in ihre Taschen zu wandern.
    Warmes Wetter bedeutete auch das Ende der Frostbeulen und schmerzenden Glieder, die sie den Winter hindurch geplagt hatten. Trotzdem war es immer noch kühl genug, um ihren Mantel fest zugeknöpft zu lassen und für ihre Handschuhe dankbar zu sein. Die Handschuhe waren alt, das Ziegenleder an den Spitzen der Finger dünn und abgewetzt. Was tatsächlich sogar wünschenswert war, da man sich als Taschendieb auf sein Fingerspitzengefühl verlassen musste.
    Zügig ging Miranda die Straße entlang, nickte den Schuhputzjungen an ihrem üblichen Platz zu und grüßte Bob, den Milchmann, der seine Kuh gemächlich vorbeitrieb. Miranda kaufte stets bei ihm, da sie die Milch lieber direkt von der Quelle bezog, anstatt es mit der in Flaschen abgefüllten Variante zu riskieren, die oftmals mehr mit Kreide gefärbtes Wasser als richtige Milch enthielt.
    Mit knurrendem Magen blieb sie vor Alices Kaffeewagen stehen.
    »Nur den Kaffee heute, Alice«, sagte sie und gab sich große Mühe, die goldbraunen Muffins nicht anzusehen, die einladend in einem Korb in der Auslage feilgeboten wurden. Ihr Magen protestierte lautstark. Alice spülte eine Keramiktasse aus und füllte sie mit schwarzem, heißem Kaffee.
    »Du solltest dir Arbeit in einem Laden suchen«, meinte sie ohne lange Vorrede.
    Miranda nippte an ihrem Kaffee und beobachtete das muntere Treiben auf der Straße um sie herum. Viele wohlhabende Geschäftsleute gingen vorüber, unterwegs zu einem Samstagsspaziergang im Park bei schönem Wetter. Aber dort war das Gelände zu offen. Sie würde zum Piccadilly weitergehen, oder vielleicht zur Tottenham Court Road.
    »Vater hat etwas dagegen«, war alles, was sie sich als Antwort zu geben entschied.
    »Natürlich.« Verächtlich verzog Alice das Gesicht. Das war nicht gegen Miranda gerichtet. Soweit Alice wusste, musste Miranda sich die Tage mit Müßiggang vertreiben, während sie und ihr Vater immer tiefer in Armut versanken. Niemand wusste von Mirandas Doppelleben. Niemand außer Vater, und obwohl er sie hinaus auf die Straßen schickte, war er aus einem seltsamen Grund darauf bedacht, sie so gut es ging vom Rest der Welt abzuschirmen. Als wolle er sie für irgendeinen großartigen Plan aufsparen.
    Ein Muffin wurde energisch vor ihr platziert. »Du verhungerst noch vor meinen Augen, Mädchen.«
    Endlich hob Miranda den Blick und sah Alice an. »Ich kann nicht. Ich habe nicht genug Geld.« Vater hatte alles bekommen. Miranda konnte ihm keinen Vorwurf machen, dass er ihr Geld nahm, nicht nach dem, was sie getan hatte. Sie unterdrückte ein vertrautes Schaudern.
    Mit einem Schnauben
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher