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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall
Autoren: R. Scott Bakker
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an Serwës Lachen, das wie Wasser über die weichen Worte des Dûnyain rauschte.
    Im Dunkeln streckte Cnaiür sein Breitschwert aus und schob die Spitze durch den Zelteingang, dessen Klappe er mit der linken Hand beiseite schob. Atemlos beobachtete er die beiden.
    Das Gesicht vom Feuer orange beleuchtet, den Rücken im Dunkeln – so hatten sie es sich Seite an Seite auf einem Olivenast gemütlich gemacht. Wie ein Liebespaar. Cnaiür beobachtete ihre Spiegelbilder auf dem fleckigen Glanz seines Schwerts.
    Beim Totengott – wie war dieses Mädchen schön! Wie…
    Der Dûnyain wandte sich um, sah ihn mit glänzenden Augen an und blinzelte.
    Cnaiür spürte, wie seine Lippen sich unwillkürlich kräuselten. Dann traf ihn ein mächtiger Stoß in die Brust, der sofort auf Kehle und Ohren durchschlug.
    Sie gehört mir… /, schrie er stumm.
    Kellhus sah ins Feuer. Er hatte ihn gehört. Irgendwie. Cnaiür ließ den Zelteingang zufallen und sah statt goldener Flammen nur noch Dunkelheit. Pechschwarz und trostlos… mir… mir…
     
     
    Achamian würde sich nie daran erinnern, welchen Rückweg er vom Palastbezirk ins Lager des Heiligen Kriegs genommen und was er auf diesem langen Weg gedacht hatte. Plötzlich fand er sich inmitten der staubigen Reste des großen Abschiedsfests vor seinem Zelt sitzend wieder. Klein und allein, fleckig und verwittert von vielen Jahreszeiten und vielen Reisen stand es im stummen Schatten des großen Zelts von Xinemus. Dahinter erstreckte sich der Heilige Krieg – eine gewaltige Leinwandstadt, deren Gewirr aus Zelten, Schnüren, Wimpeln und Sonnensegeln bis zum Horizont reichte.
    Er sah Xinemus am verglommenen Feuer schlafen. Der beleibte Soldat hatte sich der Kälte wegen zusammengerollt. Achamian vermutete, der Marschall hatte sich darüber, dass sein Freund vom Kaiser so gebieterisch vorgeladen worden war, ziemliche Sorgen gemacht und die ganze Nacht am Feuer darauf gewartet, dass er nach Hause kam.
    Nach Hause.
    Bei diesem Gedanken traten Achamian Tränen in die Augen. Er hatte nie ein Zuhause gehabt, einen Ort, den er sein Eigen hätte nennen können. Für einen wie ihn gab es keine Zuflucht. Nur ein paar weit verstreute Freunde, die ihn aus irgendeinem unerklärlichen Grund mochten und sich um ihn Sorgen machten.
    Er ließ Xinemus schlafen – der Tag würde kräftezehrend genug werden. Das große Lager des Heiligen Kriegs würde von innen nach außen abgebaut, die Zelte würden niedergelegt und fest um ihre Stangen gewickelt, die Gepäckkarawanen herangeführt und mit Ausrüstung und Vorräten beladen werden. Dann würde der harte, aber von Überschwang getragene Marsch nach Süden beginnen, ins Land der Heiden, wo Verzweiflung und Blutvergießen ihrer warteten – und vielleicht sogar die Wahrheit.
    Im Halbdunkel seines Zelts zog Achamian einmal mehr sein Schema hervor und kümmerte sich nicht um die Tränen, die aufs Pergament fielen. Er stierte eine Zeit lang auf
     
    DIE RATHGEBER,
     
    als könnte er sich kaum erinnern, was dieser Name bedeutete und worauf er verwies. Dann tunkte er die Feder ins Tintenfass und zog von dort eine wacklige Linie zu
     
    DER KAISER.
     
    Endlich eine Verbindung. Wie lange hatten die Rathgeber bloß in ihrer Ecke geschwebt und waren eher Strandgut aus Tinte als ein Name gewesen, hatten mit nichts in Beziehung gestanden und nichts bedeutet – wie die Drohungen, die ein Feigling vor sich hin murmelt, wenn sein Peiniger verschwunden ist. Aber das war vorbei. Die bittere Erscheinung hatte ihre knöcherne Gestalt entblößt, und das Grauen vor dem, was gewesen war und einmal wieder sein könnte, war zum gegenwärtigen Grauen geworden.
    Und dieses Grauen war sein Grauen.
    Warum? Warum hatte die Schicksalsgöttin ausgerechnet ihm diese Enthüllung auferlegt? Was sollte dieser Quatsch? Wusste sie denn nicht, wie schwach, wie leer er geworden war?
    Warum hat es ausgerechnet mich getroffen?
    Eine selbstsüchtige Frage – vielleicht die selbstsüchtigste. Jede Last – sogar ein wahnsinniges Gewicht wie die Apokalypse – musste jemandem aufgeschultert werden. Warum hätte es ihn nicht treffen sollen?
    Weil ich ein gebrochener Mensch bin. Weil ich mich nach einer Liebe sehne, die ich nicht haben kann. Weil…
    Aber dieser Weg war viel zu einfach. Angeschlagen und von unglücklicher Sehnsucht geplagt zu sein, war nun mal des Menschen Los. Wann hatte er die Schwäche entwickelt, in Selbstmitleid zu schwelgen? Wann im Laufe seiner langsam zunehmenden Tage hatte
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