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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall
Autoren: R. Scott Bakker
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Besitz gewesen war, und war durchs Lager gehumpelt, bis sie jemanden getroffen hatte, dem sie zum Waschplatz folgen konnte. Egal, wo sie vorbeikam: Überall musterten die Männer des Stoßzahns sie dreist. Obwohl sie solche Blicke gewohnt war, merkte sie, dass sie gleichermaßen erregt, verärgert und verängstigt war. So viele zum Krieg gerüstete Männer! Manche wagten sogar, ihr etwas zuzurufen – oft in Sprachen, die sie nicht verstand, und immer auf ungehobelte Weise, die bei ihren Kameraden wieherndes Gelächter auslöste. Wenn sie ihnen in die Augen zu sehen wagte, dachte sie stets: Ich gehöre einem anderen, der viel mächtiger und tausendmal heiliger ist ab ihr! Die meisten ließen sich von ihrem grimmigen Blick zur Einsicht bringen, als ob sie die Wahrheit dieser von Serwë innerlich wie ein Mantra wiederholten Überzeugung spürten, doch ein paar Männer, deren Lust – wie die des Scylvendi – durch den Trotz des Mädchens eher aufgestachelt als erstickt wurde, funkelten sie an, bis sie wegsah. Keiner aber wagte es, sie zu belästigen. Sie begriff, dass sie zu schön war, als dass die Männer nicht argwöhnten, sie sei mit einer wichtigen Persönlichkeit liiert. Wenn die wüssten…
    Die Ausmaße des Lagers hatten Serwë von Anfang an in Erstaunen versetzt, doch erst als sie sich unter die Massen am steinigen Ufer des Phayus mischte, begriff sie die ungeheure Größe des Heiligen Kriegs wirklich. Frauen und Sklaven hatten sich zu Tausenden spülend und schrubbend am Wasser versammelt und trugen das ihre zum endlosen Stakkato der nass auf Steine geklatschten Wäsche bei. Dickbäuchige Matronen wateten in den braunen Fluss, schöpften Wasser und wuschen sich unter den Achseln. Kleine Gruppen von Frauen und Männern lachten, schwatzten oder sangen einfache Lieder. Nackte Kinder tobten strahlend und kreischend durch das Chaos ringsum.
    Ich gehöre dazu, hatte sie gedacht.
    Und morgen würden sie ins Land der Fanim aufbrechen – Serwë, die Tochter eines tributpflichtigen Häuptlings der Nymbricani, würde an einem Heiligen Krieg gegen die Kianene teilnehmen!
    Für Serwë war »Kianene« – ähnlich wie »Scylvendi« – immer einer von vielen geheimnisvollen und irgendwie bedrohlichen Namen gewesen. Als Konkubine hatte sie hin und wieder zufällig mitbekommen, wie die Söhne des Hauses Gaunum über die Kianene sprachen. Ihre Stimmen hatten dabei wie eine seltsame Mischung aus Verachtung und zugleich Bewunderung geklungen. Immer mal wieder hatten sie über fehlgeschlagene Missionen an den Padirajah in Nenciphon gesprochen, über diplomatische Finten, banale Erfolge und beunruhigende Rückschläge. Dann und wann hatten sie über die fehlerhafte »Heidenpolitik« des Kaisers geklagt. Alle von ihnen erwähnten Völkerschaften und Orte aber waren Serwë merkwürdig unwirklich erschienen – wie die böse und mitleidlose Fortschreibung eines Kindermärchens. Ihre Welt war der Klatsch mit anderen Konkubinen und mit Sklaven: dass der alte Griasa am Vortag Zitronensauce auf den Schoß des Hausherrn geschüttet und dafür Stockschläge bekommen hatte; dass der schöne Stallbursche Eppaltros sich ins Dormitorium gestohlen und mit Aälsa geschlafen hatte, dann aber von einem Unbekannten verraten und kurz darauf von einem Mitglied der Familie getötet worden war.
    Doch diese Welt hatten Panteruth und seine Munuäti für immer zunichte gemacht. Die ach so unwirklichen Völkerschaften und Orte waren wie eine Lawine in ihr Leben eingebrochen, und sie bewegte sich nun unter Männern, die mit Prinzen, Kaisern und sogar Göttern Umgang hatten. Bald, sehr bald würde sie die glänzenden Granden von Kian zum Kampf aufgestellt sehen und erleben, wie die Banner des Stoßzahns siegreich über dem Schlachtfeld flatterten. Sie sah es fast vor sich, wie der ruhmreiche und unbesiegbare Kellhus sich ins Getümmel warf und den nur schemenhaft erkennbaren Padirajah zu Fall brachte.
    Kellhus würde der strahlende Held dieser noch ungeschriebenen Geschichte sein. Das wusste sie unerklärlich gewiss.
    Doch jetzt – bei Kerzenschein über einen alten Text gebeugt – wirkte er ungemein friedlich.
    Mit pochendem Herzen kroch sie zu ihm, die Decke fest um den Leib geschlungen.
    »Was liest du da?«, fragte sie heiser. Dann begann sie zu weinen, denn die Zudringlichkeit des Scylvendi stand ihr noch allzu deutlich vor Augen.
    Ich bin zu schwach! Zu schwach, um ihn zu ertragen…
    Kellhus blickte vom Manuskript auf. Seine freundliche Miene
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