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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall
Autoren: R. Scott Bakker
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mehr. Und wurde immer wütender.
    »Warum, Akka? Warum? Ich war… gekommen, um dich… zu retten… und um dir… zu erzählen…«
    Er hasst dich! Für ihn bist du nur eine dreckige Hure! Ein Fleck auf seiner Hose!
    »Nein! Er liebt mich! Er… ist der… Einzige, der mich je… wirklich geliebt hat!«
    Niemand liebt dich. Niemand.
    »Meine… meine Tochter… hat mich… geliebt!«
    Hätte sie dich doch gehasst!… Und überlebt!
    »Aufhören! Aufhören!«
    Peinigerin und Gepeinigte wurden wieder eins, und sie krümmte sich zusammen. Ihr Schmerz war so groß, dass sie weder denken noch schreien konnte. Sie wälzte das Gesicht im Staub. Ein leises, klagendes Heulen drang durch die Nacht…
    Dann begann sie hemmungslos zu husten, wand sich im Staub und musste sich übergeben.
    Danach lag sie lange reglos da.
    Die Tränen trockneten. Das weiträumige Brennen klang ab und wurde zu einem punktuellen Stechen, das ringsum von vagen Schmerzen umgeben war. Es fühlte sich an, als hätte sie überall im Gesicht blaue Flecken.
    Akka…
    Viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf, und alle waren vom Rauschen in ihren Ohren merkwürdig abgekoppelt. Sie erinnerte sich an Pirasha, die alte Hure, deren sie sich angenommen hatte und die schon vor Jahren gestorben war. Zwischen der Tyrannei vieler und der Tyrannei eines Einzelnen – so pflegte Pirasha zu sagen – entscheiden Huren sich für die Tyrannei vieler. »Darum sind wir mehr«, erklärte sie stets. »Mehr als Konkubinen und Priesterinnen, mehr als Ehefrauen und manche Königin. Wir mögen unterdrückt sein, Esmi, aber denk daran und vergiss es nie, Süße: Wir sind niemandes Besitz.« Bei diesen Worten war ihr verschwommener Blick jedes Mal klar geworden und hatte eine Härte bekommen, die zu leidenschaftlich für ihren alten Körper schien.
    Esmenet rollte sich auf den Rücken und fuhr sich mit dem Unterarm über die Augen, in deren Winkeln noch immer Tränen brannten.
    Ich bin niemandes Besitz. Nicht von Sarcellus und nicht von Achamian.
    Wie aus tiefer Benommenheit erwachend, richtete sie sich auf. Ihre Glieder waren steif, und es dauerte recht lange.
    Ach Esmi, du wirst alt.
    Das ist nicht gut für eine Hure.
    Sie machte sich auf den Weg.

19. Kapitel
     
    MOMEMN
     
     
     
    Obwohl die Hautkundschafter schon bald nach Abmarsch des Heiligen Kriegs entdeckt wurden, hielten die meisten nicht die Rathgeber, sondern die Cishaurim dafür verantwortlich. Es ist das Problem aller großen Enthüllungen, dass ihre Bedeutung oft unseren Verständnishorizont übersteigt. Wir begreifen erst im Nachhinein, immer erst im Nachhinein – nicht nur, wenn es zu spät ist, sondern gerade weil es zu spät ist.
     
    Drusas Achamian: Handbuch des Ersten Heiligen Kriegs
     
     
     
    MOMEMN, FRÜHSOMMER 4111
     
    Der Scylvendi machte sich wild und ausgehungert über sie her. Serwë lag wie versteinert unter ihm und beobachtete eigenartig unbeteiligt wie er sich hinterher einfach in eine dunkle Ecke rollte.
    Sie wandte sich ab und sah zum anderen Ende des riesigen Zelts hinüber, das Proyas ihnen überlassen hatte. In einem einfachen grauen Kittel saß Kellhus im Schneidersitz neben einer Kerze und war über ein dickes Buch gebeugt. Auch diesen Wälzer hatte Proyas ihnen gegeben.
    Warum erlaubst du ihm, mich so zu benutzen? Ich gehöre dir!
    Das hätte sie liebend gern laut gerufen, vermochte es aber nicht. Sie spürte den Blick des Scylvendi im Rücken. Wenn sie sich umdrehte – dessen war sie gewiss –, würde sie seine Augen glühen sehen wie die eines Wolfs bei Fackelschein.
    Serwë hatte sich im Laufe der letzten beiden Wochen rasch erholt. Das ständige Pfeifen im Ohr war verschwunden, und ihre blauen Flecke waren ins Gelbgrüne ausgeblichen. Noch immer hatte sie Schmerzen, wenn sie tief einatmete, und musste hinken, doch sie empfand diese Beeinträchtigungen inzwischen nur mehr als Unannehmlichkeiten.
    Und sie war noch immer schwanger… von Kellhus. Das war das Entscheidende.
    Proyas’ Leibarzt, ein tätowierter Priester aus Akkeägni, hatte darüber gestaunt und ihr ein kleines Glockenspiel gegeben, mit dem sie Gott danken sollte. Doch sie wusste, dass sie kein Glockenspiel brauchte, um sich im Jenseits bemerkbar zu machen. Das Jenseits war gekommen und hatte sie, Serwë, erwählt.
    Am Vortag hatte sie sich stark genug gefühlt, ihre Wäsche zum Fluss hinunterzutragen. Sie hatte sich den geflochtenen Korb so auf den Kopf gesetzt, wie sie es gelernt hatte, als sie noch ihres Vaters
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