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Schattenfall

Schattenfall

Titel: Schattenfall
Autoren: R. Scott Bakker
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lachten und plauderten sie fast sorglos, lehnten sich an polierte Geländer, genossen die herrlichen Strahlen der späten Nachmittagssonne und froren nur dann ein wenig, wenn sie unversehens in den Schatten gerieten. Gläser klangen. Wein wurde eingeschenkt und tropfte mitunter daneben, so dass die ohnehin schon klebrigen Finger noch klebriger wurden. Der erste Schluck jedes Glases landete als Trankopfer im Meer – zur Besänftigung von Momas, dem Gott, dessen Güte die Voraussetzung dieser Veranstaltung war. Die Unterhaltung war ein Plätschern aus Scherz und Ernst, eine Art Schaulauf der Stimmen, deren jede um Aufmerksamkeit buhlte und auf die Gelegenheit lauerte zu beeindrucken, zu informieren oder zu unterhalten. Wie es sich gehörte, hatte der rauere Umgangston der Männer die Konkubinen vertrieben, die nun – in ihre seidenen Culati gekleidet – beisammensaßen und in jenen Themen schwelgten, über die sie endlos plaudern konnten: über Mode, eifersüchtige Ehefrauen und eigensinnige Sklaven nämlich. Die Männer hielten ihre reich bestickten Ärmel möglichst so, dass sie im Sonnenlicht glitzerten, sprachen über ernste Dinge und hatten für alles, was nicht mit Krieg, Preisen und Politik zu tun hatte, nur amüsierte Geringschätzung übrig. Dabei riskierten sie nur wenige Verstöße gegen die Gebote des Jnan, Verstöße, die hingenommen und mitunter – je nachdem, wer sie beging – sogar unterstützt wurden. Es gehörte eben auch zum Jnan, genau zu wissen, wann man gegen Regeln verstoßen durfte, und die Männer lachten schallend über die obligatorischen Entsetzensrufe, die die Frauen – kaum hatten sie den Regelverstoß vernommen – fast rituell absondern mussten.
    Das Wasser der Bucht war stahlblau und glatt. Getreidefrachter aus Galeoth, riesige Galeonen aus Ciron und andere Schiffe, die in der Mündung des Phayus vor Anker gegangen waren, wirkten von den Galeeren aus klein wie Spielzeug. Nach dem Sturm war der Himmel sehr klar. Landeinwärts waren die flachen braunen Hügel um Momemn herum und auch die Stadt selbst zu sehen, die merkwürdig alt wirkte und an ein verglommenes Lagerfeuer erinnerte. Trotz der Rauchglocke, die immer über der Stadt lag, waren die großen Bauwerke wie dunkle Schatten erkennbar, die über dem grauen Qualm thronten, der aus Mietshäusern und dem chaotischen Gassengewirr aufstieg. Wie immer lastete der Turm von Ziek auf Momemns Nordosten, und im Herzen der Stadt erhoben sich die Kuppeln von Xothei über dem verschachtelten Tempelbezirk Cmiral. Die Scharfsichtigen schworen sogar, sie könnten zwischen den Tempeln jenen Obelisken erkennen, den Xerius erst vor einem guten halben Jahr hatte aufstellen lassen.
    Vor den Mauern von Momemn aber hatten die Dinge sich geändert. Die Felder rings um die Stadt waren eine einzige öde, von unzähligen Menschen festgetrampelte Staubfläche geworden. Nur dort, wo früher die Hauptstraßen durchs Lager verlaufen waren, klafften tiefe, von der Sommersonne ziegelhart gebrannte Furchen, die der Ebene ein wenig Struktur gaben. Das Heer des Heiligen Kriegs hatte den Landstrich, auf dem es so lange kampiert hatte, völlig ruiniert. Die Wäldchen waren abgeholzt. Latrinen faulten vor sich hin. Die ganze Gegend war voller Fliegen.
    Der Heilige Krieg war aufgebrochen. Die Mitglieder der Adelsfamilien sprachen immer und immer wieder darüber und davon, wie Proyas und sein gieriger Scylvendi den Kaiser, nein: das Kaiserreich gedemütigt hatten. Ein Scylvendil Würden die Feinde sie nun auch auf dem Feld der Politik verfolgen? Das Vabanquespiel des Kaisers war schiefgegangen, und obwohl Ikurei Xerius gedroht hatte, nicht mit dem Heiligen Krieg zu marschieren, hatte er seine Niederlage am Ende eingeräumt und Conphas mitgeschickt. Der Versuch, den Heiligen Krieg für die Interessen des Kaiserreichs einzuspannen, war ein gewagter Schachzug gewesen – darüber waren sich alle einig –, doch solange der brillante Conphas mit den Übrigen marschierte, konnte der Kaiser noch immer obsiegen. Conphas. Ein Mann wie ein Gott. Ein wahres Kind der Ebene von Kyranae oder sogar der Stadt Cenei – und damit aus sehr alter Familie. Wie sollte ein solcher Mann es nicht schaffen, sich den Heiligen Krieg zu unterwerfen? »Stellt euch mal vor«, riefen sie einander zu, »ihm würde die Wiederherstellung des Alten Reichs gelingen!« Dann hoben sie erneut die Gläser, um auf Nansur anzustoßen.
    Die meisten hatten die in der Hauptstadt recht unangenehmen Monate des
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