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Schatten über Ulldart

Schatten über Ulldart

Titel: Schatten über Ulldart
Autoren: Markus Heitz
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nicht viel gehört hatte. Entweder die Bauern und Adligen ignorierten die Anweisungen des Kabcar, oder die Nachricht mit dem Befehl zur Erhaltung der Wege war noch nicht bis hierher vorgedrungen. Vermutlich lag der Bote mit gebrochenem Genick im Graben, weil sein Pferd ein Schlagloch übersehen hatte.
    Eingepackt in dicke Pelze und mit mehreren Decken behängt, saß der Tadc in der schaukelnden Kutsche, die bei jeder Unebenheit bedrohlich ächzte und knarrte, und versuchte, die Langeweile zu bekämpfen. Die Kälte kroch beißend in die Kleidung, der Atem wurde zu schneeweißen Dampfwolken.
    »Schau mal, Stoiko, ich bin ein Drache«, sagte der Junge und hauchte den Diener an.
    Der Mann, ebenfalls in Unmengen von wärmender Kleidung eingemummelt, spielte den Erschrockenen. »Ulldrael hilf! Die Bestie stinkt gar sehr aus dem Hals. Ich sterbe.«
    »Das ist nicht wahr.« Der Tadc war beleidigt. »Ich stinke nicht aus dem Hals.«
    »Doch, das tut Ihr, Herr. Wir alle stinken, und das nicht nur aus dem Hals. Ich wünschte, ich läge in einer großen Wanne mit heißem Wasser und jungen Mädchen, die ich …«
    Stoiko bemerkte das fragende Gesicht des Thronfolgers und hielt inne. Er hatte vergessen, dass das weibliche Geschlecht für seinen Schützling immer noch gänzlich uninteressant war.
    Jeder fünfzehnjährige Bauernbursche hatte schon eine Nacht mit einem Mädchen verbracht. Manchmal fragte er sich, ob der Tadc jemals Gefallen an anderen Dingen finden würde, die nichts mit Essen zu tun hatten.
    »Vergesst es, Herr.«
    »Was willst du mit jungen Mädchen? Die albern doch nur und machen sich lustig über einen.« Lodrik sah ihn verständnislos an. »Ich fände ein kleines Boot schöner.«
    »Gewiss, Herr«, der Diener seufzte, schloss die Augen und blieb in Gedanken bei einem Zuber und Mädchen. Vielen Mädchen.
    »Stoiko. Ich habe Hunger.«
    Der Diener sah, wie sich sein beginnender Traum verabschiedete, die Mädchen aufsprangen und wegrannten, der Zuber verschwand und er nackt im Schnee saß.
    »Herr, nehmt die Tasche unter Eurem Sitz. Da sind noch Kekse drin«, sagte er leise und hoffte, dass die jungen Frauen zurückkämen.
    »Nein, sind sie nicht.« Lodriks Stimme klang furchtbar quengelnd. »Ich habe sie vorhin schon aufgegessen, als du geschlafen hast.«
    »Dann gibt es eben keine mehr.« Stoiko hatte keine Lust, sich mit dem Tadc auf eine Diskussion einzulassen. Die »eiserne Reserve« befand sich auf dem Wagendach bei den anderen Gepäckstücken, und er wollte nicht deswegen anhalten lassen. »Ihr müsst warten.«
    »Ich habe aber jetzt Hunger und nicht später. Die Kekse, Stoiko, sofort!« Der Thronfolger schraubte seinen schönsten Tenorton in den Gehörgang des Dieners, der daraufhin entnervt die Augen öffnete.
    »Ich habe vom Kabcar den Auftrag bekommen, Euch zu einem Mann zu machen. Männer essen keine Kekse. Jedenfalls nicht ständig. Außerdem jammern sie nicht unentwegt.« Stoiko sah den erstaunten Ausdruck des Tadc. »Euer Vater hat gesagt, ich soll eine schärfere Gangart mit Euch einlegen, Herr, und das werde ich auch tun.«
    »Ich will …«, setzte Lodrik an.
    »Und sagt jetzt bloß nicht: Ich will nicht!« Der Diener starrte die Schweinsäuglein seines Gegenübers nieder. »Es reicht. Wenn Ihr den Gouverneursposten besetzt, solltet Ihr einigermaßen glaubwürdig erscheinen als Sohn eines Harac, und der vertilgt bestimmt nicht andauernd Kekse. Reißt Euch ein wenig zusammen. Ulldrael der Gerechte weiß, dass ich der Letzte bin, der auf Euch herumhackt, aber nehmt Euch meinen Ratschlag zu Herzen.«
    Lodrik schluckte laut, kämpfte die Tränen nieder und sah aus dem Fenster. »Ich versuche es, Stoiko«, murmelte er. »Bin ich wirklich so schlimm?«
    »Ihr müsst noch viel lernen, Herr, das ist alles.« Stoiko war versöhnlicher gestimmt und klopfte dem Tadc aufmunternd auf die Schulter. »Wir kriegen das schon hin.« Der Diener gab sich im Stillen eine Mitschuld an der verweichlichten Art des Thronfolgers. Vielleicht hatte er ihn all die Jahre zu sehr verwöhnt. Er würde sich anstrengen, dass es besser würde.
    Der Kutscher brüllte eine Verwünschung, es gab plötzlich einen gewaltigen Schlag, der die beiden Insassen durcheinander wirbelte, dann hing das Gefährt vorne rechts herab.
    Die Stoffjalousien hatten sich durch den Ruck entrollt, wodurch im Innern Dunkelheit herrschte. Lodrik lag halb auf Stoiko, der sich ächzend von dem Gewicht des Thronfolgers zu befreien suchte.
    »Herr, würdet Ihr
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