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Schatten eines Gottes (German Edition)

Schatten eines Gottes (German Edition)

Titel: Schatten eines Gottes (German Edition)
Autoren: Jutta Ahrens
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nicht mehr zugehört. ›Er wohnt noch immer hier‹, hatte dieses Männlein gesagt. Wenn das stimmte … Sinan war in solchen Situationen nicht zimperlich. Er packte den Mann am Rock und schüttelte ihn. »Nicholas wohnt noch hier? Ist das wahr?«, schrie er ihn an.
    »Lass meinen Onkel los, Sinan!«
    Die Stimme! Sinan glaubte, sein Herz müsse zerspringen wie Glas. Er wandte den Kopf. Und da auf der Treppe stand Nicholas. Er trug einen Rock aus gutem Stoff, sein Haar war glatt zurückgekämmt und zu einem kleinen Zopf gebunden. Das war nicht mehr der Knabe aus Hama mit dem zerzausten Blondhaar und dem verwegen ums Haupt geschlungenen Tuch. Das war der wohlerzogene Sprössling eines reichen Kaufmanns. Und seine braun gebrannte Haut war blass geworden.
    Sinan stieß den Onkel von sich und stürmte die Treppen hinauf. Der Onkel schrie etwas. Es hörte sich an wie: »Schmeißt diesen Ungläubigen aus meinem Haus. Kann mir denn niemand helfen?«
    »Schweig Onkel und lass uns allein«, herrschte Nicholas ihn mit harter Stimme an, während er vor Sinan zurückwich.
    »Pack!«, murmelte Jakob Hardevust, während er sich wieder in sein Kontor verzog. »Manieren hat der Junge immer noch nicht angenommen.«
    Sinan kümmerte sich nicht um den Alten, er sah nur Nicholas und hätte ihn am liebsten gleich in die Arme gerissen, aber Nicholas verhielt sich sehr zurückhaltend.
    »Du bist hier, Nicholas. Ich kann es kaum fassen. Wie lange schon?«
    Nicholas wies auf eine Tür. »Komm mit. Lass uns nicht auf dem Flur herumstehen.«
    Sinan betrat ein Zimmer, das ebenfalls wie ein Kontor aussah. »Das ist mein Arbeitszimmer«, sagte Nicholas. »Setz dich.«
    Sinan konnte sein Glück kaum glauben. Er hatte Nicholas gefunden. Und es war so leicht gewesen. Weshalb hatte er nicht gleich in Köln nach ihm gesucht?
    »Du bist nicht überrascht, mich zu sehen?«
    »Nicht sehr. Ich dachte mir schon, dass du irgendwann kommen wirst. Du wusstest, wo ich wohne.«
    Nicholas strömte eine Kühle aus, die Sinan an ihm nicht kannte. Da war kein bisschen Freude über sein Erscheinen. Nicht einmal ein Lächeln schenkte er ihm.
    »Und weshalb glaubst du, bin ich gekommen?«
    Nicholas senkte den Blick. »Erzähle!«, forderte er ihn auf, ohne auf Sinan einzugehen. »Wie ist es dir ergangen?«
    »Wie es mir ergangen ist, nachdem du dich davon gemacht hattest, willst du wissen?«
    »Du bist weggegangen. Ich bat dich zu bleiben. Doch du bist aufgebrochen, um zu töten.«
    »Das ist vorbei, Nicholas, für alle Zeiten vorbei.«
    Nicholas starrte an ihm vorbei. Langsam füllten sich seine Augen mit Tränen. »Es ist zu spät, Sinan. Ich bin wieder hier. In Köln, wo alles begonnen hat. Ich bin nicht mehr der Nicholas, den du kanntest.«
    Sinan griff nach seiner Hand. »Welchen Nicholas habe ich gekannt?«
    »Den, der sich verkauft hat, erinnerst du dich nicht?«
    »Aber …«
    »Hier bin ich Nicholas Hardevust, der Sohn von Heinrich Hardevust. Dieser Sohn schläft nicht mit Männern, hat es niemals getan, verstehst du das? Ich werde das Geschäft meines Vaters weiterführen und arbeite mich gerade ein.«
    »Ja, du siehst auch schon aus wie eine kranke Krähe. Willst du so enden wie diese Schreiberseele von einem Onkel?«
    »Ich muss mir als Kaufmann einen Namen machen. Dann werden sie mich wieder respektieren.«
    »Wer respektiert dich nicht?«
    »Die Kölner. Damals war ich ihr Engel, doch heute beschimpfen sie mich. Die Gassenjungen laufen hinter mir her und verhöhnen mich, weil ich gescheitert bin. Viele Kölner Familien haben ihre Kinder auf dem Kreuzzug verloren.«
    Sinan ballte die Faust. Er hätte gern jedem Einzelnen von ihnen die Kehle durchgeschnitten, aber damit hätte er sich bei Nicholas nicht beliebt gemacht. Er streichelte ihm sanft die Wange. »Weshalb willst du dann in dieser Stadt bleiben, die dich ausspuckt wie ein Stück verdorbenes Fleisch? Du darfst kein Kaufmann werden, kein Federfuchser, der mit krummem Rücken über seinen Büchern sitzt und Listen führt. Nicholas! Du bist geboren, um zu strahlen.«
    »Ein ehrlicher Beruf ist auch etwas wert.«
    »Heiliger Florian! Was du da von dir gibst, ist ja ein grässliches Gewäsch. Ich wette, den Satz hast du von deinem Onkel und hast ihn auswendig gelernt.«
    Nicholas rückte ein bisschen von Sinan ab. »Ich muss sehen, wie ich mein Leben gestalte, ich muss mir eine Zukunft aufbauen. Du bist ein bunter Vogel, Sinan, aber hier …«
    »Hier hat man dir deine Seele endgültig geraubt!«,
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