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Schatten eines Gottes (German Edition)

Schatten eines Gottes (German Edition)

Titel: Schatten eines Gottes (German Edition)
Autoren: Jutta Ahrens
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Von hier war Nicholas aufgebrochen. Hier hatte man ihn gekannt. Hier gab es Leute, die mit ihm gesprochen, ihn berührt hatten, die ihm gefolgt waren und die ihn geliebt hatten. Den Engel von Köln. Als Sinan in die Stadt einritt, vermeinte er, sein Wirken noch zu spüren. Auch wenn er nicht hier war, schien er allgegenwärtig. Die verwitterten Mauern, die strohgedeckten Hütten, die Plätze und Brunnen, aber auch die vielen Kirchen, der Bischofssitz, die stolzen Patrizierhäuser am Rhein, sogar das Pflaster unter den Hufen seines Pferdes, alles atmete seine Anwesenheit. Über jene Plätze konnte er geschritten, durch diese Gassen gelaufen sein, in dieser Kirche gebetet haben.
    Sinan war sich dessen bewusst, dass alles auf seiner Einbildung beruhte, aber das Glücksgefühl, das ihn durchströmte, war echt. »Du da!«, hielt er so manchen Passanten auf, »hast du ihn gekannt? Nicholas, den Engel von Köln?« Einige schüttelten die Köpfe, andere nickten. »Der mit den Kindern weg ist? Der arme Junge!« »Freundlich war er. Hatte ein Herz für die Armen.« »Verrückt ist er gewesen«, sagten andere.
    Nicholas Hardevust war sein Name. Und die Hardevusts waren eine angesehene Familie in Köln. Jedermann konnte ihm das Haus in der Rheingasse zeigen. Sinan stand vor dem stattlichen Haus mit den frisch gestrichenen Fachwerken und schaute hinauf zu dem hohen Giebel. Es war das Haus eines wohlhabenden Kaufmanns. Was hatte Nicholas bewogen, so ein Heim aufzugeben und Not und Elend auf sich zu nehmen? Sinan betätigte den Türklopfer. Er musste es von innen sehen. Seinen Geruch einatmen. Sicher wohnten hier noch Angehörige von ihm, und es gab treue Dienstboten, die sich an ihn erinnerten.
    Nicholas hatte ihm gesagt, er könne nie wieder nach Köln zurückkehren, an den Ort seiner Verblendung, an den Beginn der Katastrophe. Aber vielleicht erfuhr Sinan hier etwas über seine Gründe. Er musste eine Weile warten, bis die Klappe in der Tür sich öffnete. Das pausbäckige Gesicht einer verschwitzten Frau mit Haube sah heraus. »Ihr wünscht?«
    »Mein Name ist de Fiore. Stefano de Fiore. Ich komme aus Mailand, es geht um die Tuche, die wir vor einem Monat geliefert haben«, plapperte er drauf los. »Ist der Hausherr vielleicht zu sprechen?«
    Das runde Gesicht verzog sich zu einem breiten Lächeln.
So einen schönen Mann lässt man nicht vor der Tür stehen,
dachte sie. »Ja, der Herr ist daheim. Ihr habt ein Pferd dabei? Wartet hier. Ich öffne gleich das Tor zu den Stallungen.«
    Nebenan öffnete sich das große Holztor. Ein Stallknecht nahm Sinan das Pferd ab. Die dralle Frau mit der fleckigen Schürze lief behände vor ihm her, dabei warf sie ihm verschämte Blicke zu. »Ich bin Ursula, die Köchin. Bitte wartet hier im Empfangszimmer. Ich sage dem Herrn Bescheid. Er ist im Kontor.«
    Sinan nickte zerstreut. Er sah sich im Haus um. Die großen Räume, die getäfelten Wände, die Möbel, alles zeugte von gediegenem Reichtum. »Setzt Euch, der Herr Hardevust wird gleich für Euch zu sprechen sein«, sagte sie zu Sinan, der unruhig auf und ab lief, weil er sich alles ansehen musste. Er hörte sie kaum. Er ging im Zimmer umher und fragte sich, wo Nicholas’ Zimmer gewesen sein mochte. Wahrscheinlich im ersten Stockwerk. Er musste sich einen guten Grund ausdenken, dass man ihn dort hinaufließ.
    »Wer seid Ihr? Was wollt Ihr?«, ließ sich jetzt eine knarrende Stimme in seinem Rücken vernehmen. »Ich kenne keinen de Fiore aus Mailand.«
    Sinan drehte sich um. Vor ihm stand ein schmächtiger Mann mit einem runden, oben spitz zulaufenden Kopf, auf dem eine braune Samtkappe thronte. Unter seinen linken Arm hatte er mehrere lose Pergamente geklemmt, die andere Hand hielt ein Gestell, in das ein Kristall eingelassen war. Sinan erkannte darin eine Sehhilfe. Er verneigte sich höflich. »Verzeiht, dass ich so einfach bei Euch eindringe. Mein Name ist Sinan al Abu Yahya al Karim. Ich …«
    Der Mann hielt sich den Kristall vor die Augen. »Ein Sarazene? Das Haus Hardevust treibt keinen Handel mit Sarazenen. Das sind Ungläubige.«
    »Je nun. Ich betreibe keinen Handel. Ich habe Nicholas gekannt. Er hat doch hier gewohnt?«
    »Was heißt, er hat hier gewohnt? Er wohnt noch immer hier. Aber Leute von Eurer Sorte will er nicht mehr sehen. Heiliges Land! Ha! Wenigstens hat ihm der Kreuzzug seine Flausen ausgetrieben. Er wird mal ein ehrlicher Kaufmann, so wie sein Vater. Also verschwindet aus meinem Haus.«
    Sinan hatte ihm überhaupt
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