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Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)

Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)

Titel: Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)
Autoren: Christian V Ditfurth
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zugelächelt. Zuletzt bei der Demo gegen die Fahrpreiserhöhungen sind wir eine Weile nebeneinander gelaufen. Sie hat mir erzählt vom Stress vor der Germanistikklausur. Und ich habe erzählt, ich hätte beim Studium ausgesetzt, eine revolutionäre Pause. Da hat sie gelacht, aber ich bilde mir ein, sie hat mich ein bisschen bewundert. Weil ich konsequent bin. Wenn wir nicht aufpassen, hat sie gesagt, dann sind bald die Faschisten am Drücker. Und dann schicken sie uns wieder nach Auschwitz. Das hat sie also verstanden.
    Ich muss noch an mir arbeiten. Das mit dem Hintern ist sexistisch, würden die Genossinnen der Frauengruppe sagen. Die Frau reduziert auf ihre Geschlechtsmerkmale. Sie haben ja Recht. Und ich werde nichts sagen darüber. Meine Gedanken hinken den heutigen Anforderungen der Revolution hinterher. Im Kopf bin ich manchmal noch richtig reaktionär. Ich muss an mir arbeiten.
    Wenn ich Angelika erzählen würde von der Hinrichtung, was würde sie sagen? Auch, dass es konsequent gewesen sei? Das war es doch.

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    3
    Sie lief vor ihm die Treppe hinauf in den dritten Stock. An der Wohnungstür klebte ein Zettel mit der gedruckten Aufschrift O. Winter. Carmen entfernte das Polizeisiegel und schloss auf.
    Sie hatte ihn am frühen Nachmittag angerufen und am Philosophenturm abgeholt, um mit ihm zu Ossis Wohnung im Lohkoppelweg 7 in Lokstedt zu fahren. Auf der Fahrt hatten sie kaum miteinander gesprochen. Im Tageslicht sah Carmen noch erschöpfter und niedergeschlagener aus. Ihre Stimme war brüchig, als hätte sie Husten. Auch Stachelmann war müde, aber er kannte diesen Zustand, halb wach zu sein. Oft rissen ihn die Schmerzen aus dem Schlaf.
    Carmen drückte die Wohnungstür auf, die klemmte etwas. Stachelmann hatte Ossi nie zu Hause besucht, Ossi hatte ihn nie hierher eingeladen. Es roch muffig und nach Zigarettenrauch. Der Läufer in der Diele war verschlissen, die Wände grau. Die Türen standen offen, links war die Küche, schmutziges Geschirr stand neben der Spüle, Schimmelgeruch drängte sich auf. Gegenüber lag das Wohnzimmer. CDs, Zeitschriften und Bücher lagen herum, ein Zweiersofa an der Wand, ein Sessel an der Schmalseite eines Glastischs. Schlieren zeigten, er war lange nicht gereinigt worden. Von draußen dröhnte der Verkehrslärm durch die geschlossenen Fenster. Der Schreibtisch stand neben einer Tür, die ins Schlafzimmer führte. Stachelmann warf einen Blick hinein, schmuddeliges Bettzeug lag herum, die Hose des Schlafanzugs auf dem Boden. An der Wand ein aufdringlicher Frauenakt, wohl aus einem Kaufhaus. Er setzte sich auf den Schreibtischstuhl und überlegte, was Ossi gedacht hatte in seinen letzten Minuten.
    »Wirklich Selbstmord?«, fragte er, auch wenn er fand, es war das falsche Wort. Freitod klang irgendwie komisch. Wer sagte das schon?
    »Wahrscheinlich«, sagte Carmen. »Keine Einbruchspuren, sonst auch keine. Es war wohl niemand hier außer Ossi.«
    »Und wenn er einen Mörder hineingelassen hat, weil er ihn kannte?«
    Carmen stand dicht neben ihm, sie roch gut. Sie hob die Hände, ließ sie wieder sinken. »Möglich ist alles. Aber Mord ist unwahrscheinlich. Äußerst unwahrscheinlich. Wenn den Rechtsmedizinern nicht noch etwas auffällt, werden die Ermittlungen eingestellt.«
    Stachelmann verstand es gut. Alles spricht für einen Freitod, kein Indiz dagegen. Es sei denn, die Polizei findet noch eines. Ossi war ausgestiegen aus seinem Leben. Stachelmann begann sich an diese Vorstellung zu gewöhnen. Man muss den Tatsachen ins Auge sehen. Anne hatte Recht, er hätte es nicht verhindern können. Ossi hatte sich nach der Sache mit Ines kaum mehr gemeldet bei ihm. Wäre es seine Pflicht gewesen, Ossi nachzulaufen? Gewiss nicht.
    »War der Aktendeckel geschlossen, als Sie ihn fanden?«
    Sie nickte.
    Er stellte sich vor, Ossi hatte in den Papieren gelesen, dann den Deckel zugeschlagen, um die Tabletten oder das Gift zu schlucken. »Aber legt man sich nicht aufs Bett oder in die Badewanne, wenn man so was vorhat?«
    »Eigentlich schon. Aber wer weiß schon, was in seinem Kopf vorging? Er wird seinen Grund gehabt haben. Vielleicht wollte er es anders machen als andere.«
    »Wissen Sie schon, was er genommen hat?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nein.«
    Er schlug den Aktendeckel auf, der Ordner stammte aus Polizeibeständen. Obenauf lag ein Flugblatt. Es ging um Fahrpreiserhöhungen bei der Heidelberger Straßenbahn. Rote-Punkt-Aktion. Stachelmann erinnerte sich, wie die
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