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Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)

Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)

Titel: Schatten des Wahns: Stachelmanns dritter Fall (German Edition)
Autoren: Christian V Ditfurth
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der Zeitung gelesen hatte von einem Vortrag, den Stachelmann gehalten hatte. Wie er Stachelmann half, sich vom Mordverdacht zu befreien. Ines tauchte wieder auf in seinen Gedanken. Sie hatte Ossi auch gekannt. Natürlich hatte der so getan, als wollte er mit ihr anbändeln. Ossi konnte nicht anders. Er war ein Angeber gewesen, doch dahinter steckte einer, der nicht nur geprotzt hatte. Der seine Unsicherheit versteckte. Aber der war nun tot, vielleicht hatte er sich umgebracht.
    »Woran ist er gestorben?«, fragte Anne. Stachelmann hörte es wie hinter einer Wand.
    »Er hat wohl Gift geschluckt«, sagte Carmen mit monotoner Stimme. »Der Arzt schließt aus, dass er einen Herzinfarkt oder so was bekommen hat. Er saß auf einem Stuhl, der Oberkörper lag auf der Schreibtischplatte. Er ist nicht auf die Platte gefallen, dann hätte man eine Verletzung gefunden. Ich stelle mir vor, er ist vornüber gesunken. Und die Akten haben den Kopf geschützt, wie ein Polster. Komische Akten, Flugblätter, irgendwas aus Heidelberg, altes Zeug. Ihr Name taucht darin auch auf, gleich auf dem ersten Blatt.« Sie hob kurz ihren Kopf, um Stachelmann anzusehen. Der las in ihren Augen Trauer, aber auch Angst. Vor was hatte sie Angst?
    Stachelmann versuchte sich vorzustellen, wie Ossi tot am Schreibtisch gesessen hatte. Aber er bekam das Bild nicht in den Kopf. Was er da hörte und sah, schien ihm weit weg zu sein, wie verschleiert durch eine Nebelwolke.
    »Ich habe zuerst die Kollegen gerufen, den Rechtsmediziner. Ich habe der Spurensicherung geholfen, Taut kam sogar, der Hauptkommissar verlässt ungern sein Büro. Schon gar nicht sein Bett.« Ein Lächeln lief über ihr Gesicht und verschwand. »Dann wollte ich mit Ihnen sprechen.« Sie hob wieder den Kopf und schaute Stachelmann kurz ins Gesicht. Dann starrte sie erneut auf die Platte. »Aber Sie sind nicht ans Telefon gegangen. Dann fiel mir ein ...« Sie warf einen Blick auf Anne, um gleich wieder ihre vorherige Haltung einzunehmen. »Ich hab's nicht ausgehalten. Wo sollte ich hin?«
    Stachelmann griff über den Tisch und nahm ihre Hand. Sie hatte feingliedrige Finger. Stachelmann drückte die Hand, dann ließ er sie los. »Das war ganz richtig«, sagte er. »Ich war sowieso wach ... wir waren sowieso wach.«
    »Er hat viel von Ihnen erzählt. Über die Zeit in Heidelberg.«
    Von einer anderen Zeit hätte er auch nichts erzählen können, da er Stachelmann davor nicht gekannt und danach lange Zeit nicht mehr gesehen hatte. Stachelmann ahnte, dass Ossi sich selbst nicht zu kurz hatte kommen lassen in seinen Berichten aus bewegter Zeit. Demonstrationen, Flugblätter verteilen, Seminare umfunktionieren oder sprengen, Prügeleien mit der Polizei. Manchmal war Stachelmann die Protzerei peinlich gewesen. Es fiel ihm ein, wie Ossi Anne und später Ines beeindrucken wollte, so aufdringlich, dass es niemanden beeindrucken könnte. Stachelmann nickte. »Ja, da haben wir manches miteinander erlebt.« Und damals war Ossi auch noch nicht so ein Angeber gewesen, vollendete er den Satz im Kopf. Er muss sich verändert haben, als es abwärts ging mit ihm. Als er nicht Anwalt wurde, als er seine Ideale verlor, als er Polizist wurde, was so ziemlich das Gegenteil war von dem Anwalt der Bewegung, der Revolutionäre vor dem Gericht des Klassenfeinds heraushaute oder wenigstens ihre Verurteilung in ein Fanal ummünzte. Und nun war er tot, vielleicht hatte er sich selbst getötet. Irgendwie wäre das konsequent. Stachelmann überlegte, wie Ossi sich gefühlt haben mochte in seinen letzten Stunden. An was hat er gedacht? Bestimmt an seine große Zeit, in Heidelberg, als Hinz und Kunz ihn kannten als den roten Ossi, und diesen Ehrennamen trug er nicht seiner Haarfarbe wegen.
    »Er hat Sie beneidet«, sagte Carmen. »Sie haben es geschafft, er wurde Polizist. Verstehen Sie mich nicht falsch, er war ein guter Polizist. Und auch nicht der Einzige, der zu viel trank. Aber manchmal« – sie suchte nach einem Wort –, »manchmal war er so traurig. Und mir fiel auf, dann sprach er kaum. Wenn doch, machte er Andeutungen über die Zeit des Studiums, Satzfetzen, und Ihr Name fiel dann häufig.« Sie schüttelte den Kopf. »Und dann hat er den Kopf geschüttelt.« Sie schüttelte wieder ihren Kopf. »Und dann hat er gelacht, ein bisschen gequält, und so mit der Hand gewischt.« Sie wischte über den Tisch, als wollte sie Schmutz beseitigen. »Als würde er die Erinnerung wegwischen.« Ihre Hand bewegte sich noch
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