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Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Titel: Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
Autoren: Maria Norda
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war zu
viel passiert – aber ich würde weiterleben.
    Ich würde Michael nicht noch einmal
abweisen, dafür war es inzwischen viel zu ernst und jede weitere Abfuhr brachte
mich einem Leben als einsame Witwe näher. Wie oft würde er solche eine
Demütigung noch ertragen, bevor auch er wieder aus meinem Leben entschwand? Das
wollte ich nicht zulassen – ich konnte es nicht. Ich hatte mir nicht vorstellen
können, ohne Robert weiterzuleben. Doch Michael zeigte mir einen Ausweg, eine
neue Zukunft.
    Ich ging auf die Knie und sammelte
behutsam die einzelnen Blätter auf. Und wo bis vor wenigen Minuten noch ein
Gesicht geprangt hatte, waren nun nur noch Bruchstücke erkennbar,
zusammenhangslos und fremd.
    Mit dem Stapel voller Erinnerungen
ging ich auf den Balkon. In der Ecke stand ein kleiner Grill. Feuer reinigte,
hatte ich einmal irgendwo gelesen und hoffte inständig, dass es stimmte. Ich
ließ die Fotos in die Brandschale sinken und nahm eine Schachtel Zündhölzer vom
Fensterbrett. Eine kleine Flamme züngelte an dem dünnen Halm entlang und ich
ließ es in die Schale fallen. Unaufhörlich bahnten sich die Flammen ihren Weg
durch das Papier und verzerrten immer mehr von ihm. Wabernd und von tiefroter
Glut begleitet, fraßen sie sich durch jedes einzelne Bild und schenkte mir
dabei einen Funken Wärme. Der Rauch stieg mir in die Augen und ich spürte, wie
mir die Tränen über die Wangen liefen. Es musste an dem Qualm gelegen haben,
zumindest versuchte ich mir das einzureden.
    Robert war ein Kapitel in meinem
Leben gewesen und während ich vor ein paar Wochen noch geglaubt hatte, er sei
der Hauptteil, entpuppte er sich nun als Prolog. Die Einleitung für eine Reihe
weiterer Kapitel und wenn ich Glück hatte, dann hatte ich den Protagonisten für
die folgenden Seiten bereits gefunden.

Kapitel 32
     
    Mein Herz schlug höher und höher,
schneller und schneller. Unaufhörlich hämmerte es gegen meine Brust und ich
wartete darauf, dass es aussetzte.
    Behutsam ergriff Michael meine
Schulter und lehnte seinen Kopf an den meinen. »Du schaffst das«, raunte er mir
zu und liebkoste mein Ohrläppchen.
    Ein roter Samtvorhang war alles, was
mich vor der dahinter befindlichen Menschenmenge trennte. Dabei wusste ich
nicht einmal, ob der Laden wirklich voll war. Aber das machte auch keinen
Unterschied, ob drei oder dreihundert Zuhörer. Es änderte nichts an der Angst,
die durch meinen Körper strömte.
    Michael ließ von mir ab und griff zu
seiner Gitarre, um sie ein letztes Mal zu stimmen. Ich versuchte meinen Atem zu
beruhigen und mich auf das, was gleich folgen würde, einzustellen. Es gab nur noch
uns zwei – ein Mann mit seiner Gitarre und eine Frau mit ihrer Stimme. Mehr
nicht, ganz einfach, ganz simple und doch viel komplizierter als es den
Anschein hatte.
    Die letzten Wochen waren wie im Flug
vergangen. Jede freie Minute hatte ich mit Michael geteilt. Teilweise hatten
wir die Nacht hindurch musiziert und erst die aufgehende Sonne hatte uns daran
erinnert, dass wir auch irgendwann einmal schlafen mussten.
    Wir waren meist bei ihm gewesen. Mein
eigenes Zuhause war mir fremd geworden und ich besuchte es nur, um den
Briefkasten zu leeren und einen Schwung neue Sachen in sein Reich zu befördern.
Aber es war immer noch meine Wohnung und ich war noch nicht vollends bereit,
sie aufzugeben. Dafür kam mir alles noch viel zu neu und zerbrechlich vor. Ich
konnte mich noch nicht kopfüber ins Wasser stürzen, aber ich plantschte bereits
unbekümmert darin. Ein Zustand, von dem ich vor wenigen Monaten nicht geglaubt
hätte, dass es ihn überhaupt jemals wieder geben würde.
    Erneut atmete ich tief durch und ließ
die Luft durch jeden Winkel meiner Lunge strömen. Wovor hatte ich nur solche
Angst? Wenn ich mir einem sicher sein konnte, dann dass meine Stimme mir
gehorchte. Ich konnte spüren, wie die richtigen Töne meine Kehle verließen, wie
sie sanft meinen Körper zum Beben brachten. Es war so natürlich wie atmen. Ich
hatte es nicht lernen müssen. Es war einfach in mir. Es war meine Waffe, deren
Gebrauch mir niemand beibringen musste.
    Michael ergriff meine Hand und gab
mir einen sanften Kuss. Einen Augenblick später saß ich auf einem Barhocker und
blickte in eine schwarze, schemenhafte Masse, geblendet von den an der Decke
angebrachten Scheinwerfern.
    Hart wie ein Schlag traf mich der Schmerz
und die Leere ergriff erneut von mir Besitz.
    Ich war schon einmal hier gewesen.
    Ich hatte das alles schon einmal
erlebt – in
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