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Schandtat

Titel: Schandtat
Autoren: PeP eBooks
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ich am liebsten auf ihre Vierhundert-Dollar-Schuhe kotzen. Ich weiß genau, wer ich bin. Ich bin Poe Holly, und ich bin stinksauer.
    »Poe?«
    Ich kannte ihn zwar von diesem Foto, das ich mal gesehen hatte, aber vor allem erkannte ich seine Stimme. Ich hatte
hin und wieder mit ihm telefoniert. Einmal an Weihnachten, als ich zehn war, ein andermal an meinem Geburtstag, und dann wieder, nachdem man mich letztes Jahr im Umkleideraum beim Trinken erwischt hatte. Doch die Tochter meiner Mutter wird nicht von der Schule gewiesen. Man kam zu dem Schluss, die Oak Grove Preparatory School sei nicht gut genug für mich.
    Ich sah die Ähnlichkeit in seinen Augen. Schiefergrau, genau wie meine. Ansonsten war er absolut totaler Durchschnitt. Er hätte jeder Hinz oder Kunz sein können, der in irgendeiner Kleinstadt die Straße entlanglief: schlank, in beiger Jeans und graugrünem, kurzärmeligem Polohemd, das er auch noch in die Hose gesteckt hatte. Der Traum einer jeden Frau, falls ihre Träume genauso farblos waren - er war in etwa so bieder und langweilig, wie man nur sein konnte. Das einzig Coole an ihm war, dass er kein einziges Kleidungsstück trug, das mehr als fünfzig Dollar gekostet hatte. Vielleicht würden wir uns sogar verstehen.
    Sein Haar war ultrakonservativ geschnitten, dunkelbraun wie meins, wenn ich es nicht gerade schwarz gefärbt hätte, und er war glatt rasiert und sah älter aus, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich wusste, dass er fünfunddreißig war, aber sein Gesicht wirkte ziemlich abgespannt, und die Ringe unter seinen Augen erinnerten mich an einen Menschen, der zu viel las. Er lächelte, die Hände in den Taschen. Seine Nervosität war nicht zu übersehen. Ich ging auf ihn zu. »Hi.«
    Er nickte und trat von einem Fuß auf den anderen. »Hallo.«
    Da standen wir nun, ich in meinem Punkoutfit und er
total spießig mit seinen Slippern und dem säuberlich gescheitelten Haar. Ich hängte mir meine Tasche über die Schulter und fragte mich, ob das Ganze eine gute Idee gewesen war. »Du hast kein Schild in der Hand.«
    Er blinzelte, dann runzelte er die Stirn.
    »Ein Schild. Wie am Flughafen. Mit meinem Namen. Poe Holly. Damit ich dich in der Menge nicht übersehe.«
    Seine Miene hellte sich auf, er lächelte und schaute sich auf dem verlassenen Bürgersteig um. »An dieser Haltestelle ist sonst niemand ausgestiegen.«
    »Ich war ja auch die Einzige im Bus. Ich nehme mal an, dass gewöhnliche Touristen nicht mit dem Greyhound hierher kommen.«
    Er lachte. »Benders Hollow ist nicht Los Angeles, und nein, das tun sie nicht.«
    Ich sah mich um und nahm die tourimäßige Umgebung in mich auf. Mom hatte angeboten, mich von einer Limousine herbringen zu lassen. ›Sieben Stunden im Bus?‹, hatte sie gesagt. ›Poe …‹ Bla, bla, bla. Ich seufzte. »Na ja, ich bin hier.«
    Er streckte die Hand aus. »Lass mich deine Tasche tragen.« Er nahm sie mir ab, warf dann einen Blick auf den Bus, der im Leerlauf am Straßenrand stand. »Kann ich dir sonst noch etwas abnehmen?«
    »Mom passte in keinen Koffer.«
    Er lächelte, aber ein dunkler Schatten glitt über seine Augen. Dann warf er sich das riesige Ding auf den Rücken, und wir gingen die Straße hinunter. »Darum gefällt es mir so gut.«
    »Was?«

    »Benders Hollow.«
    Ich sah mich um. Okay, auf mich wirkte der Ort wie eine stinknormale Kleinstadt. »Warum?«
    Er lachte in sich hinein, aber so leise, dass man es kaum hörte. »Weil es nicht Los Angeles ist.«

    Wir erreichten seinen Wagen, einen nagelneuen braunen Volvo, und mir stach sofort ins Auge, was darin nicht zu sehen war. Kein einziges Staubkörnchen auf dem Armaturenbrett, kein noch so kleiner Schmutzfleck an den Scheiben, nicht einmal ein verirrtes Blatt im Fußraum. Keine Zeitschriften, Einwickelpapiere, Kaffeebecher oder Krimskrams. Noch nicht einmal Wechselgeld in der Mittelkonsole. Alles war tipptopp. Genau wie meine Mutter. Ich stöhnte.
    Wir fuhren an einigen Häuserblocks mit Geschenkläden und Weinhandlungen vorbei, und entlang der Straße standen altmodische Laternenpfähle und zurechtgestutzte Bäume, mit flatternden Bannern, die ein Weinfest ankündigten. Ich seufzte. Die Straßen waren genau wie mein Dad. Makellos. Keine schmutzigen Fenster, kein Müll, kein Dreck, weder Obdachlose noch Umweltverschmutzung. Nicht einmal in den Rinnsteinen lagen Blätter. Der Ort war so steril, dass ich fast Angst hatte zu atmen.
    Hinter dem Einkaufsviertel bog er rechts ab, in die Mulberry Lane.
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