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Schamland

Schamland

Titel: Schamland
Autoren: Stefan Selke
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schlechter wird. Die Kurve geht weiter runter. * Durch das politische System fühlen wir uns nicht mehr angemessen vertreten. Es muss sich etwas bewegen, aber in diesem System bewegt sich nichts. * Es greift nirgendwo. * Je mehr dort gesprochen wird, desto weniger passiert. *
    Bisher sind wir wählen gegangen, aber jetzt haben wir keine Lust mehr. * In unseren Augen haben die Volksvertreter die Bodenhaftung verloren. * Die haben Scheuklappen auf. Die wollen uns ja gar nicht sehen. Die wollen nicht mit uns behelligt werden. * Die Parteien packen das Thema nicht an, denn mit unangenehmen Dingen will sich niemand abgeben. *
    Was uns auffällt, ist die Realitätsferne der Politik. Die haben keine Ahnung mehr, wie das wahre Leben eigentlich vonstattengeht. Wie manche Leute knüppeln müssen, wie abhängig manche Leute von den Ämtern sind. Wir haben keine Lobby mehr im Moment. * Das Soziale können wir uns nicht mehr leisten, heißt es. Aber es ist ein Skandal, dass wir für Lebensmittel, die andere nicht mehr essen wollen, Schlange stehen müssen. Und dann noch ›Bitte‹ und ›Danke‹ sagen müssen dafür. Das ist Feudalismus. Das finden wir nicht in Ordnung. * Armes Deutschland! Wie wir als Staat nur da hinkommen konnten. * Das geht in die falsche Richtung. Und es trifft immer die Untersten. *
    Und das sind wir.
    Es wird ja kaum publik gemacht, um was es da im Endeffekt geht: Der Staat zieht sich aus der Verantwortung. * Für die Politik sind Tafeln eine Entlastung. So ist es doch das Einfachste. Mit Armenspeisungen verhindert man, dass soziale Unzufriedenheit überschwappt. * Tafeln beruhigen viele. * Da braucht sich keiner einen Kopf zu machen. Niemand muss Hartz IV erhöhen, denn es gibt ja die Tafeln, damit wir über die Runden kommen. * Irgendwo werden die Armen ihr Essen und ihre Kleidung schon herbekommen. *
    Das ist die Verarschung der kleinen Leute. * So viel Armut in Deutschland ist beschämend. Aber viele haben das noch gar nicht mitbekommen. Oder wollen es nicht sehen. * Und der Staat entzieht sich seiner Verantwortung. Und damit werden Tafeln zum Grünen Punkt im Sozialstaat. Mit ihnen werden überflüssige Menschen politisch entsorgt. *
    Eigentlich müssten die Politiker, die uns das eingebrockt haben, ein schlechtes Gewissen haben. Es müsste ihnen peinlich sein, dass es in ihrem Land Tafeln gibt. Dass sich so viele Menschen an eine private, von der Wirtschaft abhängige Laien­­organisation wenden, um essen zu können. Da muss man doch als Politiker vor Peinlichkeit unter die Decke kriechen. * Tatsächlich aber wird Armut billigend in Kauf genommen. * Für uns ist das eine dramatische Verschlechterung der Situation. *
    Wir wollen das nicht den Tafeln vorwerfen. * Eigentlich muss der Staat mehr Verantwortung übernehmen, damit ­Tafeln nicht mehr so attraktiv sind. Aber je besser die Tafeln arbeiten, desto eher können sich Politiker zurücklehnen. * Am Ende verlassen sich alle auf die Tafeln, den liebgewonnenen Pannendienst der Gesellschaft. * Letztlich sind Tafeln eine wirtschaftliche und politische, aber keine soziale Lösung. * Durch die Tafeln bekommt die Politik ein Alibi und kann behaupten: Wir versorgen euch doch! * Wir aber sagen: Wenn man jemanden versorgen will, muss man sich zunächst um ihn sorgen. Aber das passiert nicht. Die Tafeln sorgen sich um sich selbst. Die Bürger fühlen sich währenddessen im Stich gelassen, denn das Signal ist: Ihr sollt uns so wenig wie möglich kosten. Die wirtschaftlich noch verwertbaren Individuen ziehen wir raus. Die anderen speisen wir ab. *
    Raus aus der Mühle
    Wir blicken mit Sorge in unsere Zukunft. Die Tafeln haben nicht damit gerechnet, dass so viele Menschen kommen. Mit dem Zulauf sind sie teilweise überfordert. * Wir aber fürchten uns davor, dass in Zukunft immer mehr Menschen dort hingehen werden, die alles immer selbstverständlicher finden. Sie werden gar nicht mehr merken, wie man ihnen die Bürgerrechte wegnimmt. *
    Viele hoffen, dass es Tafeln auch noch in 20 Jahren gibt. * Die warten förmlich schon darauf, da hinzugehen und versorgt zu werden. * Für die sind die Tafeln Lebensretter. * Wir aber fürchten uns davor, dass Tafeln zu einer Dauereinrichtung werden. Denn der Preis wäre uns zu hoch. Die Dinge, die uns empören, sind Dinge, die in einer modernen Gesellschaft nicht ­vorkommen sollten. Wir fühlen uns von der Regierung politisch entsorgt, von den Mitbürgern im Stich gelassen, von den Ämtern schikaniert – und bei den Tafeln
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