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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge
Autoren: Nancy Kress
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Lauf!«
    Jorry stand wie angewurzelt. Brant drückte mir eine Hand auf den Mund und, als die mich nicht genügend dämpfte, über die Kehle. Seine Stimme in meinem Ohr klang rauh und leise.
    »Fia. Hör zu. Ich werde dir und dem Jungen nichts tun. Hör zu!« Und dann: »Hör zu, ehe ich dir das Genick breche.«
    Weil ich aus seiner Stimme entnahm, daß er es nicht tun würde – oder tun konnte –, gab ich es auf, mich zu wehren. Perverserweise wirkte gerade seine Lüge beruhigend auf mich.
    Brant ließ seinen Arm um meinen Hals liegen, doch er lockerte den Griff, sobald ich mich nicht mehr widersetzte. Er hielt mich von hinten, so daß ich ihn nicht sehen konnte. Ohne zu sehen und in meiner Furcht um Jorry und mich selbst wuchs die Bewußtheit seiner Nähe in all meinen Sinnen; sein Geruch nach Pferden und Wein, der Druck seines festen Körpers gegen meinen Rücken und meine Hinterbacken, seine rauhe, schnellsprechende Stimme keine Handbreit von meinem Ohr.
    »Du hast meine Geschichtendarbietung gesehen. Hast du dich nicht gewunden, du Närrin, daß der Hof deine Vorführung für so wundersam hielt? Meine Fähigkeiten, die von Mutter Arcoa, die Bewußtseinskünste und das Geschichtenspielen selbst – nichts von alledem kennt man in Veliano, und man weiß auch nichts über mich, aus Gründen, die mit dir nichts zu tun haben.«
    »Ich werde nichts verlauten lassen«, meinte ich ziemlich dümmlich. Der Griff um meine Kehle spannte sich augenblicklich fester und löste sich dann, als schüttelte Brant ein Krampf der Gefühle, und er kämpfte um die Kontrolle über sie.
    »Du bist eine Diebin, eine Lügnerin und sehr wahrscheinlich eine Hure«, erwiderte er. »Ich gebe nichts auf das Wort von Dieben, Lügnern und Huren.«
    Einen Augenblick lang konnte ich weder sehen noch atmen. Wie viele Nächte im Laufe von Jahren hindurch hatte ich mir gesagt, daß Brant genau das von mir denken mußte. Aber es zu hören und noch dazu mit dieser schonungslosen und harten Stimme, war etwas anderes. Irgendeine alberne, jugendliche Hoffnung, von der ich bis jetzt nicht gewußt hatte, daß sie mir innewohnte, war bis ins Herz getroffen und starb vor Schmerz, und ich zitterte am ganzen Körper.
    »Laß meine Mutter los!« schrie Jorry, doch diesmal stürzte er sich nicht auf Brant. Er blieb zitternd und verängstigt stehen, und ich sah, wie mein Kind den Tritt des Soldaten an seinen Schenkel im Geiste noch einmal durchlebte und nun den Widerstreit von Loyalität, Feigheit und Furcht durchstehen mußte.
    Beim Klang von Jorrys Stimme ließ Brant mich los. Er sah den Jungen finster an, und ich weiß nicht, was er zu ihm gesagt hätte, wenn nicht plötzlich die Tür aufgegangen wäre.
    Ein Diener mit einem Tablett dampfender Speisen kam herein. Er konnte Jorrys und mein Gesicht und Brants Rücken sehen. Er blieb verwirrt stehen und schaute uns an. Offensichtlich hatte er erwartet, nur die Geschichtenspielerin mit ihrem Kind auf dem Ruhelager zu finden. Gewiß hatte er nicht mit Jorrys furchtverzerrtem, meinem tränenüberströmten und wütenden Gesicht und uns gegenüber Brants Rücken gerechnet, der so steif war, als hätte er sein Schwert verschluckt.
    Brants Blick ruhte immer noch auf Jorry. Einen Augenblick lang dachte ich, auf diesem älteren Gesicht alle Verzweiflung zu sehen, die hinter seinen Augen als Fünfzehnjähriger geflackert hatte und nun sengend an die Oberfläche kam. Dann erlosch dieser Ausdruck auch schon wieder, und ein ans Befehlen gewohnter Lord wandte sich an den Diener.
    »Coryn. Stell das Essen ab und schick einen Pagen zu Seiner Hoheit. Sag ihm, ich hätte die Geschichtenspielerin vernommen und bin überzeugt, daß sie mit der bewaffneten Figur, die in ihrem Trugbild vorkam, nichts Böses beabsichtigte und nicht weiß, wie es zu der Fehlinterpretation kam. Sag, daß ich Seiner Hoheit Anweisung erwarte, um ihm alles zu berichten, was sie mir über ihre eigentümliche Kunst erzählt hat.«
    Die Überraschung des Dieners ließ nach; damit war meine Aufregung ausreichend erklärt. Lord Brant hatte die Geschichtenspielerin nach ihren politischen Absichten befragt; Lord Brant war dabei vielleicht nicht gerade zimperlich verfahren.
    »Ja, Euer Gnaden«, versetzte der Mann. »Auf der Stelle, Euer Gnaden. Und wenn es Eurer Lordschaft recht ist, Eure Lady Gemahlin erwartet Euch in ihren Gemächern.«
    Eure Lady Gemahlin.
    Brant nickte und verließ vor dem Diener das Zimmer. Er drehte sich nicht mehr um.
    Jorry schluchzte
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