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Schadrach im Feuerofen

Schadrach im Feuerofen

Titel: Schadrach im Feuerofen
Autoren: Robert Silverberg
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»Schließlich ist es nur eine Lebertransplantation.«
    »Man sollte meinen, das sei bei einem alten Mann gefährlich genug.«
    »Der Vorsitzende hat bereits zwei Leberverpflanzungen hinter sich.«
    »Aber wie viele chirurgische Eingriffe wird er noch überstehen? Er ist ein Greis und…«
    »Das lassen Sie ihn lieber nicht hören!«
    Mangu zuckt die Achseln. »Wahrscheinlich hört er sogar zu«, sagte er beiläufig. Etwas von der Spannung scheint von ihm zu weichen. »Er weiß, daß ich es in aufrichtiger Sorge um ihn gesagt habe.«
    Schadrach lächelt vorsichtig. Wie schon des öfteren, fragt er sich auch jetzt wieder, ob die Tugend der Offenheit und Geradlinigkeit, die Mangu große Popularität bei der Bevölkerung eingebracht hat, in der Politik, wo allein Klugheit und Verstellungskunst zu zählen scheinen, nicht als ein ernster Mangel anzusehen sei. Er erinnert sich, daß Doktor Crowfoot vom Projekt Avatara, Nicki Crowfoot, seine Nicki, mit der er diese Nacht verbracht hätte, wäre nicht die bevorstehende Operation gewesen, ihm schon vor Wochen unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgeteilt hatte, welches traurige Schicksal Mangu erwartete, wenn es nach den Vorstellungen des neuen Dschingis Khan ginge. Daher weiß Schadrach, was Mangu mit größter Wahrscheinlichkeit nicht einmal ahnt – nämlich, daß der Vorsitzende beabsichtigt, sein eigener Nachfolger zu werden. Im Laufe des vergangenen Jahres scheint sich im Bewußtsein des alten Mannes die fixe Idee festgesetzt zu haben, sich selbst mit Hilfe von Mangus kräftigem, gesunden Körper eine zweite Lebenszeit zu verschaffen. Aus diesem Grund rief er unter dem Vorwand, die medizinische Grundlagenforschung fördern zu wollen, das Projekt Avatara ins Leben. Wenn es erfolgreich abgeschlossen werden kann – und die Aussichten dafür sind nicht schlecht –, dann wird eines Tages wirklich Mangus kraftvoll-jugendliche Erscheinung auf dem Sessel des Vorsitzenden Platz nehmen, bloß wird Mangus selbst nicht dabei sein, um sich des Erfolgs zu erfreuen. Freilich ist kaum zu erwarten, daß die Operation unbemerkt vom Revolutionsrat oder gar mit seiner Billigung durchgeführt werden kann. Nichtsdestoweniger möchte Schadrach nicht in Mangus Haut stecken; und jeder, der so nichtsahnend und unbekümmert der eigenen Vernichtung entgegengeht, wie Mangu es zu tun scheint, ist ein Dummkopf, dem es am nötigen Gespür fehlt.
    »Wo werden Sie während der Operation sein?« fragt Schadrach.
    Mangu macht eine weitausholende Geste. »Hier, natürlich.« Er lacht. »Ich werde vorgeben, die Funktionen des Vorsitzenden auszuüben.«
    »Vorgeben?«
    »Sie wissen, Doktor, daß er nach der Art vieler alter Männer glaubt, nur er könne es richtig machen. Infolgedessen kümmert er sich um jede Kleinigkeit selbst und gewährt niemandem Einblick in seine einsamen Entscheidungen. Ich unterrichte mich über alles, so gut ich kann, aber wenn er heute stürbe, wüßte ich über vieles nicht Bescheid. Darum betrachte ich diese Transplantationen mit einer gewissen Sorge.«
    »Wir tun das nicht, um in Übung zu bleiben, glauben Sie mir«, sagt Schadrach. »Die Leber funktioniert schon seit Wochen nicht mehr richtig. Sie muß heraus. Aber Sie können wirklich unbesorgt sein.«
    Mangu lächelt ihm zu und nickt. Es ist ein erstaunlich warmes und freundliches Lächeln. »Ich vertraue Ihnen, Doktor. Ihnen und Ihren Kollegen, die den Vorsitzenden am Leben erhalten. Verständigen Sie mich nach der Operation von ihrem Ausgang, ja?«
    »Selbstverständlich«, murmelt Schadrach.
    Mangu nickt ihm noch einmal zu und geht weiter. Schadrach blickt ihm kopfschüttelnd nach. Mangu ist eine einnehmende Erscheinung, freundlich, ohne Dünkel, offen und verläßlich, und er hat sogar Charisma. In einer düsteren Zeit, die nur von unheilbringenden Blitzen alptraumhaften Lichts erhellt wird, ist Mangu so etwas wie ein Volksheld. In den vergangenen zehn oder zwölf Monaten hat er den Vorsitzenden mit zunehmender Häufigkeit bei offiziellen Feiern, Kongressen und dergleichen vertreten, und obwohl er kein überwältigendes Rednertalent besitzt, ist dieser entwaffnend ehrliche, zugängliche und bescheiden auftretende Mann bei der Bevölkerung beliebt wie kein anderer. Dschingis Khan II. Mao haben seine früheren Taten die ehrfürchtige Bewunderung der Menschen eingebracht, volkstümlich aber ist er nie geworden. Jene, die Mangu längere Zeit aus der Nähe erlebt haben, sind sich bewußt, daß er zwar enorm fleißig und
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