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Schach von Wuthenow

Schach von Wuthenow

Titel: Schach von Wuthenow
Autoren: Theodor Fontane
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einer hochgestellten Dame Victoiren als seine Tochter vorzustellen.«
    »Möglich. Aber dergleichen läßt sich vermeiden.«
    »Doch schwer. Sie zurückzusetzen oder ganz einfach als Aschenbrödel zu behandeln, das widerstreitet seinem feinen Sinn, dazu hat er das Herz zu sehr auf dem rechten Fleck. Auch würde Frau von Carayon das einfach nicht dulden. Denn so gewiß sie Schach liebt, so gewiß liebt sie Victoire, ja, sie liebt diese noch um ein gut Teil
mehr
. Es ist ein absolut ideales Verhältnis zwischen Mutter und Tochter, und gerade dies Verhältnis ist es, was mir das Haus so wert gemacht hat und noch macht.«
    »Also begraben wir die Partie«, sagte Bülow. »Mir persönlich zu besondrer Genugtuung und Freude, denn ich schwärme für diese Frau. Sie hat den ganzen Zauber des Wahren und Natürlichen, und selbst ihre Schwächen sind reizend und liebenswürdig. Und daneben dieser
Schach
! Er mag seine Meriten haben, meinetwegen, aber mir ist er nichts als ein Pedant und Wichtigtuer und zugleich die Verkörperung jener preußischen Beschränktheit, die nur drei Glaubensartikel hat – erstes Hauptstück: ›Die Welt ruht nicht sichrer auf den Schultern des Atlas als der preußische Staat auf den Schultern der preußischen Armee‹, zweites Hauptstück: ›Der preußische Infanterieangriff ist unwiderstehlich‹, und drittens und letztens: ›Eine Schlacht ist nie verloren, solange das Regiment Garde du Corps nicht angegriffen hat.‹ Oder natürlich auch das Regiment Gensdarmes. Denn sie sind Geschwister, Zwillingsbrüder. Ich verabscheue solche Redensarten, und der Tag ist nahe, wo die Welt die Hohlheit solcher Rodomontaden erkennen wird.«
    »Und doch unterschätzen Sie Schach. Er ist immerhin einer unserer Besten.«
    »Um so schlimmer.«
    »Einer unsrer Besten, sag ich, und
wirklich
ein Guter. Er spielt nicht bloß den Ritterlichen, er ist es auch. Natürlich auf seine Weise. Jedenfalls trägt er ein ehrliches Gesicht und keine Maske.«
    »Alvensleben hat recht«, bestätigte Nostitz. »Ich habe nicht viel für ihn übrig, aber das ist wahr, alles an ihm ist echt, auch seine steife Vornehmheit, so langweilig und so beleidigend ich sie finde. Und
darin
unterscheidet er sich von uns. Er ist immer er selbst, gleichviel, ob er in den Salon tritt oder vorm Spiegel steht oder beim Zubettegehn sich seine safranfarbenen Nachthandschuh anzieht. Sander, der ihn nicht liebt, soll entscheiden und das letzte Wort über ihn haben.«
    »Es ist keine drei Tage«, hob dieser an, »daß ich in der Haude und Spenerschen gelesen, der Kaiser von Brasilien habe den heiligen Antonius zum Obristlieutenant befördert und seinen Kriegsminister angewiesen, besagtem Heiligen die Löhnung bis auf weiteres gutzuschreiben. Welche Gutschreibung mir einen noch größeren Eindruck gemacht hat als die Beförderung. Aber gleichviel. In Tagen derartiger Ernennungen und Beförderungen wird es nicht auffallen, wenn ich die Gefühle dieser Stunde, zugleich aber den von mir geforderten Entscheid und Richterspruch, in die Worte zusammenfasse: Seine Majestät der Rittmeister von Schach, er lebe hoch.«
    »Oh, vorzüglich, Sander,« sagte Bülow, »damit haben Sie's getroffen. Die ganze Lächerlichkeit auf einen Schlag. Der kleine Mann in den großen Stiefeln! Aber meinetwegen, er lebe!«
    »Da haben wir denn zum Überfluß auch noch die Sprache von ›Seiner Majestät getreuster Opposition‹«, antwortete Sander und erhob sich. »Und nun, Fritz, die Rechnung. Erlauben die Herren, daß ich das Geschäftliche arrangiere.«
    »In besten Händen«, sagte Nostitz.
    Und fünf Minuten später traten alle wieder ins Freie. Der Staub wirbelte vom Tor her die Linden herauf, augenscheinlich war ein starkes Gewitter im Anzug, und die ersten großen Tropfen fielen bereits.
    »Hâtez-vous.«
    Und jeder folgte der Weisung und mühte sich, so rasch wie möglich und auf nächstem Wege seine Wohnung zu erreichen.
     
Viertes Kapitel
     
In Tempelhof
    Der nächste Morgen sah Frau von Carayon und Tochter in demselben Eckzimmer, in dem sie den Abend vorher ihre Freunde bei sich empfangen hatten. Beide liebten das Zimmer und gaben ihm auf Kosten aller andern den Vorzug. Es hatte drei hohe Fenster, von denen die beiden untereinander im rechten Winkel stehenden auf die Behren- und Charlottenstraße sahen, während das dritte, türartige, das ganze, breit abgestumpfte Eck einnahm und auf einen mit einem vergoldeten Rokokogitter eingefaßten Balkon hinausführte. Sobald es
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