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Schach von Wuthenow

Schach von Wuthenow

Titel: Schach von Wuthenow
Autoren: Theodor Fontane
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standen Zitronen- und Apfelsinenkisten, deren Deckel nach vorn hin aufgeklappt waren. »Achtung«, sagte der Küfer. »Is hier allens voll Pinnen und Nägel. Habe mir gestern erst einen eingetreten.«
    »Also auch spanische Reiter... Oh, Bülow! In solche Lage bringt einen ein militärischer Verlag.«
    Dieser Sandersche Schmerzensschrei stellte die Heiterkeit wieder her, und unter Tappen und Tasten war man endlich bis in die Nähe der Hoftür gekommen, wo, nach rechts hin, einige der Fässer weniger dicht nebeneinander lagen. Hier zwängte man sich denn auch durch und gelangte mit Hilfe von vier oder fünf steilen Stufen in eine mäßig große Hinterstube, die gelb gestrichen und halb verblakt und nach Art aller »Frühstücksstuben« um Mitternacht am vollsten war. Überall, an niedrigen Paneelen hin, standen lange, längst eingesessene Ledersofas, mit kleinen und großen Tischen davor, und nur
eine
Stelle war da, wo dieses Mobiliar fehlte. Hier stand vielmehr ein mit Kästen und Realen überbautes Pult, vor welchem einer der Repräsentanten der Firma tagaus, tagein auf einem Drehschemel ritt und seine Befehle (gewöhnlich nur ein Wort) in einen unmittelbar neben dem Pult befindlichen Keller hinunterrief, dessen Falltür immer offenstand.
    Unsere drei Freunde hatten in einer dem Kellerloch schräg gegenüber gelegenen Ecke Platz genommen, und Sander, der grad lange genug Verleger war, um sich auf lukullische Feinheiten zu verstehen, überflog eben die Wein- und Speisekarte. Diese war in russisch Leder gebunden, roch aber nach Hummer. Es schien nicht, daß unser Lukull gefunden hatte, was ihm gefiel; er schob also die Karte wieder fort und sagte: »Das Geringste, was ich von einem solchen hundstäglichen April erwarten kann, sind Maikräuter, Asperula odorata Linnéi. Denn ich hab auch Botanisches verlegt. Von dem Vorhandensein frischer Apfelsinen haben wir uns draußen mit Gefahr unseres Lebens überzeugt, und für den Mosel bürgt uns die Firma.«
    Der Herr am Pult rührte sich nicht, aber man sah deutlich, daß er mit seinem Rücken zustimmte, Bülow und Alvensleben taten desgleichen, und Sander resolvierte kurz: »Also Maibowle.«
    Das Wort war absichtlich laut und mit der Betonung einer Ordre gesprochen worden, und im selben Augenblicke scholl es auch schon vom Drehstuhl her in das Kellerloch hinunter: »Fritz!« Ein zunächst nur mit halber Figur aus der Versenkung auftauchender dicker und kurzhalsiger Junge wurde, wie wenn auf eine Feder gedrückt worden wäre, sofort sichtbar, übersprang diensteifrig, indem er die Hand aufsetzte, die letzten zwei, drei Stufen und stand im Nu vor Sander, den er, allem Anscheine nach, am besten kannte.
    »Sagen Sie, Fritz, wie verhält sich die Firma Sala Tarone zur Maibowle?«
    »Gut. Sehr gut.«
    »Aber wir haben erst April, und sosehr ich im allgemeinen der Mann der Surrogate bin, so haß ich doch eins: die Tonkabohne. Die Tonkabohne gehört in die Schnupftabaksdose, nicht in die Maibowle. Verstanden?«
    »Zu dienen, Herr Sander.«
    »Gut denn. Also Maikräuter. Und nicht lange ziehen lassen. Waldmeister ist nicht Kamillentee. Der Mosel, sagen wir ein Zeltinger oder ein Brauneberger, wird langsam über die Büschel gegossen; das genügt. Apfelsinenschnitten als bloßes Ornament. Eine Scheibe zuviel macht Kopfweh. Und nicht zu süß, und eine Cliquot extra. Extra, sag ich. Besser ist besser.«
    Damit war die Bestellung beendet, und ehe zehn Minuten um waren, erschien die Bowle, darauf nicht mehr als drei oder vier Waldmeisterblättchen schwammen, nur gerade genug, den Beweis der Echtheit zu führen.
    »Sehen Sie, Fritz, das gefällt mir. Auf mancher Maibowle schwimmt es wie Entengrütze. Und das ist schrecklich. Ich denke, wir werden Freunde bleiben. Und nun grüne Gläser.«
    Alvensleben lachte. »Grüne?«
    »Ja. Was sich dagegen sagen läßt, lieber Alvensleben, weiß ich und laß es gelten. Es ist in der Tat eine Frage, die mich seit länger beschäftigt und die, neben anderen, in die Reihe jener Zwiespalte gehört, die sich, wir mögen es anfangen, wie wir wollen, durch unser Leben hinziehen. Die Farbe des Weins geht verloren, aber die Farbe des Frühlings wird gewonnen, und mit ihr das festliche Gesamtkolorit. Und dies erscheint mir als der wichtigere Punkt. Unser Essen und Trinken, soweit es nicht der gemeinen Lebensnotdurft dient, muß mehr und mehr zur symbolischen Handlung werden, und ich begreife Zeiten des späteren Mittelalters, in denen der Tafelaufsatz und die
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