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Scepter und Hammer

Scepter und Hammer

Titel: Scepter und Hammer
Autoren: Karl May
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hatten, und versuchte, seine Gedanken auf die Lektüre einer militärwissenschaftlichen Abhandlung zu konzentriren. Es gelang ihm nicht, denn immer kehrten dieselben zu der heutigen Begegnung zurück.
    Zunächst fesselte die Erscheinung der Zigeunerin seine Aufmerksamkeit. An ihren Namen knüpften sich Thatsachen und Erinnerungen, welche auf die ersten Tage seiner Kindheit, seines Lebens zurückführten. Er hatte sie als fünfjähriger Knabe ein einziges Mal gesehen; damals hatte sie in der Zeit des Nachsommers gestanden und eine immerhin noch anziehende Persönlichkeit gebildet. Sie war plötzlich verschwunden, ebenso schnell und unerwartet, wie sie gekommen war. Dann hatten die Eltern ihrer geharrt eine ganze Reihe von Jahren, und nun heut war sie wieder erschienen, ob nur für den einen Augenblick, ob für längere Zeit, ob aus oberflächlichen, gewöhnlichen Gründen oder zur Lösung der Räthsel, die mit ihrem früheren Auftreten verbunden waren – wer konnte das wissen?
    Er hatte den Eltern von der Begegnung erzählt und von der Mutter einen linden Verweis erhalten, daß er sie wieder aus den Augen gelassen hatte. Der Vater aber war ruhig geblieben in der festen Ueberzeugung: »Sie kommt sicher, wenn sie es wirklich gewesen ist!«
    Neben der verfallenen Gestalt der alten Wahrsagerin hob sich vor seinem geistigen Auge die Erscheinung der Prinzessin wie ein lichtes, glanzvolles Phänomen ab, dessen Strahlen unter den Lidern hindurch bis hinab in die tiefste Seele dringen. Er hatte die süßen, beglückenden Regungen der Liebe noch nie empfunden; es entging ihm also der Maßstab für die wunderbare Stimmung, in welche er sich seit heute versetzt fühlte, und er ließ, halb sinnend, halb träumend, mehr noch aber empfindend, die Erinnerung an das eigenthümliche Erlebniß ungestört auf sich einwirken.
    Drunten in der Werkstatt waren die Hammerschläge längst verhallt, und nach dem eingenommenen Abendbrode saßen die drei Gesellen vor der Thür, um über Dieses und Jenes zu sprechen und ihre Pfeife dabei zu schmauchen. Unweit von ihnen hockten die zwei Lehrjungen auf umgestürzten Wagenrädern, in der löblichen Absicht, von dieser Unterhaltung so viel wie möglich wegzuschnappen und dabei den Geruch des Kanasters zu genießen, der eine feinere Nase allerdings nicht in Entzücken versetzt hätte.
    »Ja,« meinte Thomas, der Obergeselle, »der junge Herr ist nun wieder da, und nun giept es zuweilen doch eine Plaisir, pei der man mitmachen darf. Alle Tage eine Fechtübung mit Rappier, Floret, Hieper und Stoßdegen, am Apend eine Wasserfahrt oder sonst ein Ausgang, pei dem der Thomas nicht fehlen darf. Das pringt außer dem Vergnügen ein Glas Pier, eine Putterpemme mit Schinken oder – –«
    »Oder ein Glas Doppelwachholder mit Ambalema,« fiel ihm der Zweite in die Rede.
    »Ja, das ist am Den!« stimmte der Dritte bei.
    Die drei Gesellen waren nämlich durchweg Originale. Alle drei hatten gedient, Thomas bei der Reiterei, Baldrian bei den Grenadieren und Heinrich bei der Artillerie; Jeder von ihnen hatte es zum Unteroffizier gebracht und hielt seine Waffe für die vorzüglichste. Sie waren unverheiratet und fest entschlossen, ihre jetzige gute Stellung so lang wie möglich beizubehalten, obgleich Jeder ohne Wissen des Anderen im tiefsten Winkel seines Herzens ein Ideal beherbergte, welches die größte Aehnlichkeit mit einer behäbigen Frauengestalt hatte. Thomas nämlich hielt gar große Stücke auf die Wittfrau Barbara Seidenmüller, Baldrian träumte sehr oft von der allerliebsten, jungen Wittfrau und Kartoffelhändlerin Barbara Seidenmüller, und Heinrich trank seinen Abendschoppen am liebsten bei der ehr-und tugendsamen Wittfrau, Kartoffelhändlerin und Gasthofsbesitzerin Barbara Seidenmüller.
    Dabei hatte Jeder von ihnen, wie man zu sagen pflegt, seine kleine Neunundneunzig. Thomas Schubert, der Kavallerist, hatte es in seinem ganzen Leben niemals fertig gebracht, ein B auszusprechen, so daß sein eigener Name in seinem Munde nicht anders als Schupert klang. Baldrian, der Grenadier, war höchst schweigsam und betheiligte sich an den gewöhnlichen Gesprächen meist nur mit den Worten: ›Ja, das ist an Dem,‹ oder ›das ist nicht an Dem,‹ verwechselte dabei aber regelmäßig den Casus und brachte daher stets ein ›am Den‹ zum Vorscheine. Heinrich, der Artillerist, war der Quälgeist der beiden anderen; er hatte stets einen Widerspruch oder eine Ironie bei der Hand und besaß dabei die
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