Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)

Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)

Titel: Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)
Autoren: John Scalzi
Vom Netzwerk:
ohne jemals ein Ziel zu erreichen, aber sie wurden immer wieder zusammengeführt und miteinander verbunden, um temporäre Komplexe wie diesen zu bilden, um sich dann irgendwo anders neu zu rekombinieren. Gemeinsam bildeten sie die Hauptstadt von Oversatch – eine Stadt, die in ständiger Bewegung war, sich laufend rekonfigurierte und sich zum größten Teil in internationalen Gewässern befand.
    Der Frachtcontainer, in dem das Plutonium verstaut war, gehörte nicht zu diesem Komplex. Man konnte ihn von hier aus nicht erreichen. Im Grunde konnte man ihn gar nicht erreichen. Gennadi war während seiner ersten Nacht an Bord herumgeschlichen und hatte den Schmuggelcontainer an Deck gefunden, fast an der Spitze eines Stapels. Er befand sich in gut dreißig Metern Höhe, und Gennadi brauchte zehn Minuten für den schwierigen Aufstieg. Sein Herz klopfte, als er ihn erreichte. Was wäre, wenn er im Dunkeln, beim leichten Seegang und in der unberechenbaren Brise abstürzte? Er hatte die Tür inspiziert, aber sie war versiegelt. Alle benachbarten Container hatten einfache Inspektionssiegel, und sie waren leer.
    Er hatte nicht versucht, ein zweites Mal hinaufzuklettern, aber er hatte ihn im Auge behalten.
    Nun kam er an Aufenthaltsräumen, Restaurants, chemischen Toiletten und Werkstätten vorbei, als er im Labyrinth der Oversatch-Container unterwegs war. Ein paar Schweden, die eine Urlaubsreise nach Kanada machten, winkten und riefen seinen Namen. Sie hatten offensichtlich schon ein paar Drinks intus. Er grinste nur und ging weiter. Viele Leute, die er sah, saßen schweigend in bequemen Sesseln. Da sie arbeiteten, störte er sie nicht.
    Er erreichte seinen gewohnten Arbeitsplatz, aber der von Miranda, der sich gleich daneben befand, war leer. Nicht weit entfernt hatte sich eine andere Frau gesetzt, die an einem Bier nippte und ein angeregtes Gespräch mit der leeren Wand führte.
    Irgendwo, vielleicht sogar auf der anderen Seite der Welt, gab es eine andere Person, die gestikulierte und die Worte aussprach, die diese Frau vorgab. Sie war die Puppenspielerin, und die ferne Person war ihr Cyranoid.
    Gestern hatten Miranda und Gennadi einen Busbahnhof in Chicago besucht. Beide waren mit Cyranoiden unterwegs gewesen, aber Miranda war darin viel besser als Gennadi. Sein Oberkörper war in Infrarotlaser getaucht, damit das System seine Haltung, seine Gesten und selbst die winzigsten Fingerbewegungen scannen konnte, um sie an die Person am anderen Ende der Verbindung zu übermitteln. Für Gennadi war diese Erfahrung genauso, als würde er einen Avatar in einer Spielwelt steuern. Die körperlichen Fähigkeiten, die Systembefehle zu interpretieren, lagen beim Cyranoiden. In dieser Hinsicht war es für Gennadi also sehr leicht.
    Doch er musste sich stündlich mit anderen Menschen treffen, und obwohl er Tausende von Kilometern vom realen Kontakt entfernt war, verkrampfte sich sein Magen bei jeder neuen Begegnung.
    Am Busbahnhof hatten er und Miranda das getan, was zahllose Zuhälter, Kirchenmissionare und Sexualverbrecher seit Generationen getan hatten: Sie hielten nach einzelnen jungen Leuten Ausschau, die aus einem Bus stiegen. Es gab eine bestimmte Schulterhaltung, einen bestimmten Gesichtsausdruck, den er zu erkennen gelernt hatte – die Angst davor, allein in einer großen Stadt zu sein.
    Die Cyranoiden, die er und Miranda dirigiert hatten, waren Personen mit seriösem Aussehen gewesen. Gemeinsam oder getrennt traten sie auf diese unsicheren jungen Leute zu und boten ihnen Arbeit an. Sie rekrutierten für Oversatch.
    Die Ergebnisse waren erstaunlich. Man nehme einen unsicheren Achtzehnjährigen ohne besondere Fähigkeiten oder soziale Verbindungen. Man bringe ihm bei, als Cyranoid zu fungieren. Dann stecke man ihn in einen netten Anzug und schicke ihn ins Zentrum einer großen Stadt. Innerhalb eines Tages konnte er von einem selbstbewussten und erfahrenen Revisor, einem Privatdetektiv, einem gerissenen Geschäftsmann und einem Architekturberater für Kliniken übernommen werden. Er konnte an Konferenzen teilnehmen, Berichte schreiben, von einem Termin zum nächsten fahren und immer wieder die Identität wechseln. Dazu musste er nur die Worte wiederholen, die ihm ins Ohr geflüstert wurden, und die Anweisungen seines haptischen Interfaces befolgen. Jeder Profi, der ihn dirigierte, konnte an einem Tag mittels vieler Cyranoiden in verschiedenen Städten sein Netzwerk ausbauen und Geschäfte abschließen. Und durch simple Beobachtung
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher