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Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)

Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)

Titel: Scalzi, John - Metatropolis (Erzählungen)
Autoren: John Scalzi
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nur wenig Zeit, bevor die Realität zupackte und seine Möglichkeiten einschränkte. Er schulterte den Rucksack und dachte an Hitchens’ Reaktion, als er ihm die Geschichte erzählt hatte. Und er fragte sich, wie viel von Oversatch er ausblenden konnte, wenn er seine Aussage machte.
    »Jake«, sagte er. »Was ist Cilenia?«
    Miranda lächelte, aber es war Jake, der ihm antwortete. »Cilenia ist kein ›es‹, wie es Ihnen vertraut ist, kein ›Ding‹ im traditionellen Sinne. Es ist eigentlich auch kein Ort. Es geht darum … dass einige Leute erkannten, dass wir eine neue Sprache brauchen, um beschreiben zu können, wie die Welt heutzutage tatsächlich funktioniert. Wenn sämtliche Identitäten fließend werden, wie kann man dann immer noch die alten Worte benutzen, um etwas zu beschreiben?
    Sie wissen, dass Städte, Länder und Unternehmen so etwas wie stabile Strudel in einer Flut der Veränderung sind? Sie sind Attraktoren – Zustände, in denen sich das Netzwerk anordnet, aber sie können sich schon im nächsten Moment wieder auflösen. Was wäre nun, wenn Menschen genauso sind? Stellen Sie sich einen Fahrer vor, der für eine Kurierfirma arbeitet. Er folgt seiner Route, er redet mit Kunden und liefert Pakete aus, aber ein anderer Fahrer würde an seiner Stelle genau dasselbe tun. Während er seinen Job macht, ist er nicht er selbst, er ist die Firma. Er fällt nur dann in seine eigene Identität zurück, wenn er nach Hause geht und seine Uniform auszieht.
    Es 2.0 gibt uns eine Möglichkeit, diese temporären Identitäten zu benennen. Es ist ein Werkzeug, mit dem wir den Blick auf die temporäre Realität richten können, selbst wenn die Umrisse der Dinge, die wir bisher für real gehalten haben – zum Beispiel Staaten und Firmen -, in Wirklichkeit verschwommen sind. Wenn es ein es 2.0 für Staaten und Firmen geben kann, müsste es so etwas doch auch für Menschen geben, nicht wahr?«
    »Cilenia?«, sagte Gennadi. Miranda nickte, doch Gennadi schüttelte den Kopf. Es ging nicht darum, dass er es sich nicht vorstellen konnte; das Problem war, dass er es sehr wohl konnte. Jake sagte, dass Menschen nicht einmal die ganze Zeit Menschen waren, dass sie während eines Tages Rollen spielten und Mächte repräsentierten, ohne dass es ihnen ständig bewusst war. Eine Person konnte an mehreren Orten gleichzeitig sein, genauso wie es sich mit Gennadi und seinen Avataren verhielt, mit seinen Investitionen und E-Mails und seiner Website und den Cyranoiden, die er benutzte. Er hatte sich sein ganzes Erwachsenenleben auf diese Weise bewegt, wurde ihm bewusst, und seine Identität hatte sich über die ganze Welt verwischt. In den vergangenen Wochen hatte sich der Vorgang beschleunigt. Für jemanden wie Jake, der in einer Welt wechselnder Identitäten aufgewachsen war, mussten es 2.0 und Cilenia etwas völlig Logisches sein. Vielleicht sogar etwas völlig Profanes.
    Vielleicht war Cilenia das neue »es«. Aber Gennadi war schon zu alt und zu gefestigt, um diese Sprache benutzen zu können.
    »Und Sanotica?«, fragte er. »Was ist das?«
    »Stellen Sie sich Oversatch vor«, sagte Jake, »aber ohne die moralischen Restriktionen. Stellen Sie sich vor, dass es nicht um spontane Rekartierungen im gesunden Netzwerk menschlicher Beziehungen geht, sondern dass es sich um ein › es 3.0 ‹ handelt, das auf Katastrophen ausgerichtet ist, auf Momente, wenn die Regeln zusammenbrechen und Chaos und Anarchie entstehen. Stellen Sie sich eine Armee von Cyranoiden vor, die in solchen Momenten auf den Plan treten, um das Elend und den Schmerz der Menschen auszunutzen. So etwas wäre sehr effizient, nicht wahr? Vielleicht genauso effizient wie Oversatch.«
    Gennadi dachte plötzlich wieder an die Rentiere, als in diesem Moment schreiende Besatzungsmitglieder über das Deck angelaufen kamen.
    »Das«, fuhr Jake unbeirrt fort, »ist Sanotica. Ein effizienter Parasit, der sich von Katastrophen ernährt. Und Millionen Menschen arbeiten dafür, ohne es zu wissen.«
    Gennadi hob den Rucksack. »Also hätte man hieraus … eine Bombe gemacht?«
    »Vielleicht. Aber woher wollen Sie wissen, Mister Malianow, dass Sie nicht selbst für Sanotica arbeiten? Wie kann ich mir sicher sein, dass dieses Plutonium nicht für irgendetwas Schlimmes benutzt wird? Es sollte nach Cilenia geschafft werden.«
    Gennadi zögerte. Er hörte Miranda Veen, wie sie ihn bat, genau das zu tun. Und nach allem, was er gesehen hatte, wusste er nun, dass sich Macht und Kontrolle in
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