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Saugfest

Saugfest

Titel: Saugfest
Autoren: Steffi Wolff
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möchte jetzt nicht schmalzig werden, aber ein bisschen leidenschaftlich war das schon. So küsst man nicht, wenn man einen
Auftrag
zu erfüllen hat. Da küsst man emotionslos. Aber das war es nicht! Da lag was drin, in diesem Kuss. Nicht, dass ich vorher besonders viel geküsst hätte, aber der Kuss oder besser gesagt, diese Küsse, die hatten schon was.
    Ich werde Annkathrin später anrufen, von wo auch immer, und mich noch mal bei ihr bedanken, aber jetzt sitze ich erst mal bei offener Tür in meinem Taxi und will sie eigentlich zuziehen und losfahren, bin aber wie gelähmt. Wie eine Geistesgestörte bin ich rausgerannt und zu meinem Wagen gehechtet. Ohne mich noch einmal umzudrehen. Mir ist egal, was die anderen von mir denken.
    Erich, der hinter mir in seiner Voliere hockt, ist still, er scheint zu schlafen.
    Der Heuler sitzt neben mir. Er soll weggehen. Ich bin jetzt arbeitslos, da kann ich mir kein Haustier leisten.
    Hubertus ist verheiratet.
    Das Gefühl ist immer noch da. Noch stärker als vorher.
    Ich glaube, ich habe Liebeskummer.
    Es hätte doch alles so schön sein können.
    Da kommt der Heuler.
    Meine Lippen fangen an zu zittern.
    Und Herr Richter und das Ännchen haben sich auch wiedergefunden. Durch mich. Die hätten sich auch mal bedanken können! Die beiden können jetzt ihren vegetarischen Lebensabend miteinander verbringen, aber ich hab die Arschkarte gezogen. Ich werde einsam versauern und irgendwann müffeln, weil ich keinen Sinn mehr darin sehe, mich zu waschen.
    Ich hab was im Auge.
    Meine Lippen zittern stärker.
    Der Heuler legt den Kopf auf mein Knie und sieht mich wissend und mitleidig an. Das bringt das Fass zum Überlaufen.
    Und dann fange ich an, laut zu heulen. Erst weiß ich gar nicht, was das ist, weil ich, glaube ich, noch nie so geheult habe. Hab ich überhaupt schon mal geweint?
    O Gott. Es wird immer schlimmer. Ich lege meinen Kopf auf das Lenkrad und weine immer lauter. Es hört gar nicht mehr auf. Es ist so, als ob mein Körper all die Tränen im Laufe der Jahre gehortet hat und nun auf einmal loswerden will.
    Und dann dieses Gefühl. Und diese Schmach.
    Ich will Hubertus, ich will ihn haben.
    »Was ist denn bloß los mit mir?«, frage ich mich selbst und suche Taschentücher.
    »Das ist Liebeskummer«, sagt Hubertus.
    Ich blicke auf und kann erst gar nicht richtig sehen, weil ich immer noch heule. Aber da steht wirklich Hubertus, und jetzt kommt er um den Wagen herum, macht die Beifahrertür auf und setzt sich neben mich.
    »Was soll das jetzt?«, schniefe ich verzweifelt. »Willst du mich noch fertiger machen, als ich’s schon bin?«
    »Nein, es genügt.« Er lächelt. Er kann ja lächeln. Er ist ja glücklich
verheiratet und hat es fertiggebracht, in vier Jahren zwölf Kinder in die Welt zu setzen. Oder umgekehrt, was für eine Rolle spielt das schon?
    »Wolltest du nicht nach Hause?« Ich hoffe nur, dass er nicht die Nerven hat, mich zu bitten, ihn zu fahren, weil ich ja ein Taxi habe, und mich dann vielleicht noch auf einen Kaffee reinbittet. Dann, ich gelobe es, dann werde ich ihn umbringen. So viel Reststolz habe ich noch.
    »Nein, ich will noch nicht nach Hause.«
    »Warum nicht?«
    »Ich bleibe lieber hier bei dir.«
    Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass die anderen aus dem Gemeindehaus gelaufen kommen und davor in einer formatierten Gruppe stehen bleiben. Sie sehen erwartungsvoll aus.
    Ali steht ganz vorn und scheint gespannt wie ein Flitzebogen zu sein.
    »Hier bei mir? Und deine Frau?«
    »Es gibt keine.«
    »Was?«
    »Ich habe keine Frau. Ich habe auch keine Kinder.«
    »Wieso nicht? Ich meine, warum hast du gesagt, dass du … «
    »Ich wollte sichergehen, dass du es ernst meinst.«
    »Tut mir leid, ich kapiere nichts.« Das stimmt. Ich fühle mich dumm wie ein Bündel Stroh.
    Hubertus rückt näher und legt den Arm um mich. »Du hast geweint«, sagt er. »Hättest du das nicht getan, wäre ich nicht zu dir gekommen. So aber bin ich mir sicher, dass du es ernst meinst.«
    »Meinst du wirklich, dass ich Liebeskummer habe?«
    »Ja, natürlich. Und das ist gut so. Es zeigt, dass sich in dir was tut«, erklärt er mir. »Außerdem hat Herr Richter mir, nachdem du rausgelaufen bist, das mit den Briefen erzählt und wie du zu ihm gekommen bist, ihm erzählt hast, dass du dein Leben ändern willst. Und jetzt glaube ich dir.«
    »Aha«, sage ich lahm. »Was heißt das im Klartext?«
    Hubertus grinst. »Auftrag ausgeführt«, sagt er. »Zu meiner vollsten
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