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Sauberer Abgang

Sauberer Abgang

Titel: Sauberer Abgang
Autoren: Anne Chaplet
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Mitleid, die Bullen, und dann verlieren sie das Interesse.
    »Ich will nach Hause«, sagte sie schließlich. Niemand hatte etwas dagegen.
    An der frischen Luft wurde ihr schwindelig. Sie hielt sich an der Kühlerhaube eines betagten Mercedes fest und wartete, bis sich die Horrorshow in ihrem Kopf legte.
    Nicht an damals denken. Nicht an Mutter denken und den stinkenden Toten. Der Mann, der neben dem umgestürzten Sessel gelegen hatte, war offenbar ganz friedlich gestorben. Sie konnte nichts dafür. Niemand konnte etwas dafür.

2
    Karen Stark blinzelte hinüber zum Nachttisch, auf dem der Wecker stand. Sie war viel zu früh aufgewacht. Von einem ungewohnten Laut – einem Geräusch, das klang, als ob ein Igel durch trockenes Laub stöberte. Sie hielt den Kopf in den Luftzug, der durch die halb offenstehende Balkontür zu ihr herüberwehte, und horchte hinaus. Es raschelte wieder.
    Sie schwang die Beine aus dem Bett und tastete mit den Zehen nach den Hausschuhen. Igel oder Einbrecher – beides war im vierten Stock einer Altbauwohnung im Frankfurter Westend gleichermaßen unwahrscheinlich. Der Gedanke an einen terroristischen Angriff durchzuckte sie – Attacke auf Karen Stark, die Speerspitze der Frankfurter Staatsanwaltschaft! Sie hätte fast aufgelacht. Trotzdem versuchte sie, möglichst geräuschlos aufzustehen.
    Wieder raschelte es, dann fiel etwas um auf dem Balkon. Wahrscheinlich der Topf mit dem vertrockneten Weihnachtsstern, sie hätte längst mal aufräumen müssen da draußen. Schon weil es Frühling wurde und die Tauben bald brüten würden. War es vielleicht schon soweit? Im vergangenen Jahr hatten die Viecher einen Monat lang jeden Tag ein Nest in den Rosenkübel zu setzen versucht – und jeden Abend hatte sie das Gebilde aus Gras, Zeitungspapier und Resten von Plastiktüten mitsamt den frischgelegten Eiern wieder weggeräumt, bis die Nervensägen endlich aufgaben. Sie mochte keine Tauben.
    Jetzt stand sie hinter der Balkontür und spähte hinaus. Ein rotes Tier mit spitzen, gefiederten Öhrchen und einem buschigen Schwanz saß auf dem Geländer und hielt etwas in der Pfote, man sah die Zehen mit den kleinen Krallen. Sein Gefährte war schwarz und nicht weniger hübsch und turnte auf der Lehne des Gartenstuhls. Jetzt sprang das rote A-Hörnchen hinüber zum schwarzen B-Hörnchen, die beiden balgten sich, bis A-Hörnchen quiekte und mit einem Satz auf das Balkongeländer sprang – und dann hinunter.
    Karen hielt die Luft an. Sind Großstadteichhörnchen selbstmordgefährdet? B-Hörnchen sprang hinterher. Sie schob die Tür auf, ging hinaus auf den Balkon und blickte über die Brüstung in die Tiefe. An der Hauswand rankte sich die Glyzinie hoch, eine mächtige Kletterpflanze aus der Frühzeit des Hauses, die es in diesem Sommer wahrscheinlich ganz hinauf bis zum vierten Stock und auf ihren Balkon schaffen würde. Die beiden Kerle huschten in atemberaubendem Tempo die Schlingpflanze hinab.
    Erdnüsse kaufen, dachte sie. Es mußte hübsch sein, morgens von fröhlichen Nußknackgeräuschen geweckt zu werden. Ob man den Tieren beibringen konnte, samstags und sonntags etwas später zu frühstücken?
    Der blasse Himmel kriegte Farbe. Karen tappte ins Schlafzimmer zurück und schloß die Balkontür. Eine Kanne Tee, die Zeitung, und zurück ins Bett. Genau das, was einen frühen Morgen schön macht.
    Sie fuhr sich mit beiden Händen durch die roten Haare und schlüpfte in den Morgenmantel. Wenn sie Glück hatte … Sie öffnete die Wohnungstür. Da lag sie, die Zeitung. Jens aus der Dachgeschoßwohnung war noch in einem Alter, in dem man vor drei Uhr früh nicht nach Hause und ins Bett geht – und schon erwachsen genug, seiner Nachbarin aus lauter Freundlichkeit die Zeitung aus dem Briefkasten zu fischen und vor die Wohnungstür zu legen. Oder aus Rücksicht auf ihr hohes Alter? Egal – Karen schickte einen Luftkuß nach oben.
    Während der Tee zog, überflog sie die Schlagzeilen. An einer Meldung ganz unten blieb ihr Blick hängen. »Ermittlungspannen im Fall Silvi«. Sie setzte sich auf den Küchenstuhl. Der Himmel draußen vor dem Fenster begann sich zu röten, aber der Tag hatte einiges von seinem Charme verloren.
    Jeder Ermittlungserfolg hatte seine Kehrseite. Aber das interessierte das Publikum nicht. Seit ein paar spektakulären Fahndungserfolgen – man hatte aus Genspuren am Mordopfer die Täter ermitteln können – kursierten in der Öffentlichkeit völlig überzogene Erwartungen an die
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