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Sauberer Abgang

Sauberer Abgang

Titel: Sauberer Abgang
Autoren: Anne Chaplet
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DNS-Spurenlese.
    Als die Eieruhr schrillte, goß sie den Tee ab und nahm Kanne, Tasse und Zeitung hinüber ins Arbeitszimmer. Die Lust auf einen ruhigen Tagesbeginn im Bett war ihr vergangen.
    Sie fuhr den PC hoch, fläzte sich in den Schreibtischsessel, legte die nackten Beine auf die Tischplatte und schlug die Zeitung auf. Die Eltern von Silvi, dem zweiten Mordopfer des geständigen Heiko H. ließen Trauer und hilflose Wut über den Tod ihres Kindes an allen aus, die sie für »zuständig« hielten – und manche Journalisten machten daraus ihr eigenes Schlachtfest. Niels Keller, der Autor des Beitrags, war ihr bekannt. Er war bei Pressekonferenzen der eifrigste und der eiferndste der Journaille. Er war, kurz gesagt, eine Pest.
    »Ist Silvi gestorben, weil wir die Falschen schützen? Hat übertriebener Datenschutz dazu geführt, daß der Täter nicht schon nach dem grausamen Mord an dem kleinen Sven gefunden wurde?«
    Karen nahm einen tiefen Schluck aus der Teetasse. Sie hatte das alles so oft schon richtigzustellen versucht. Aber die meisten Menschen ignorierten, was ihr Weltbild nicht vorsah. Dabei war die Sache ganz einfach: Der DNS-Vergleich funktioniert nur, wenn es auch etwas zu vergleichen gibt. An Sven, dessen kleiner Leichnam wochenlang in einem Birkenwäldchen gelegen hatte, bis ein Hund ihn aufstöberte, waren keine brauchbaren Genspuren festgestellt worden.
    Karen griff zur Maus, rief ihre Mails ab und löschte alle, die ihr Viagra, Pornos oder Penisverlängerungen verkaufen wollten. Wenigstens gab es zwei E-Mails von Gunter. »Ich langweile mich zu Tode. Wo bist du?« und »Ich fliege Donnerstag abend. Essen im Suvadee?« Sie seufzte und löschte beide. Sie hatte sich schon zu oft vergebens auf ihn gefreut.
    Karen legte den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. Es ärgerte sie mehr, als ihr lieb war, daß die Journaille immer nur die Schlagzeilen trächtigen Fälle ausschlachtete. Bei toten Kindern rasteten alle aus; dabei gehörten diese Fälle, so bodenlos schlimm sie waren, zu den eher seltenen Verbrechen. Andere, weit häufigere Dramen aber interessierten die empörungsbereite Öffentlichkeit einen feuchten Kehricht. Zum Beispiel Frauenhandel. Nicht Zwangsprostitution, nein! Darüber berichtete man gern, Sex & Crime verkauften sich immer. Sondern eine viel weniger spektakuläre Sorte von moderner Sklaverei, mit der sie sich seit Wochen beschäftigte: Professionelle Menschenschlepper lockten Frauen aus der Ukraine oder aus Lettland und Litauen mit Versprechen von Reichtum und Freiheit nach Deutschland und schickten sie für einen Hungerlohn in Frankfurter Hotels putzen. Der Trick: Man meldete die Frauen als »selbständige Gewerbetreibende« an, was den unschätzbaren Vorzug besaß, daß für sie weder Sozialabgaben noch Steuern anfielen. Die Frauen, die kaum Deutsch sprachen und offenbar in vielen Fällen von ihren Schleppern sexuell genötigt oder mit Rauschgift abhängig gemacht worden waren, hatten für 13 bis 15 Stunden Arbeit am Tag nicht mehr als 700 Euro Lohn im Monat erhalten. Und davon wurden ihnen auch noch 200 Euro abgezogen, für miese Verpflegung und für eine Koje in schlecht geheizten Bruchbuden, wo sie zu sechst in einem Zimmer hausten. Deutsche Behörden hatten bei dem üblen Spiel mitgespielt: Ein Gewerbeamt hatte mehreren Frauen aus Litauen am selben Tag einen Gewerbeschein für »Reinigungsarbeit nach Hausfrauenart« ausgestellt, ohne Verdacht zu schöpfen oder Alarm zu schlagen. Das war ein behördlich geduldeter Skandal, nichts anderes, ganz zu schweigen vom volkswirtschaftlichen Schaden, der dadurch entstand. Und es verdarb ihr ebenso die Laune wie das ewige Warten auf Gunter.
    Oder war sie ungerecht? Sie richtete sich auf, griff nach ihrem Mobiltelefon und schickte ihm eine SMS. »Gerne, chéri. Reservierst Du einen Tisch?«
    Der Tee war kalt geworden. Karen durchblätterte lustlos den Lokalteil der Zeitung und schlug dann das Feuilleton auf. Die Besprechung der Theaterpremiere gestern lud nicht dazu ein, den Eigenversuch des Kritikers zu wiederholen. Schließlich raffte sie sich auf und ging ins Bad. Beim Zähneputzen erinnerte sie sich daran, daß sie Erdnüsse kaufen wollte. Und irgend etwas Blühendes für den Balkon. Und daß sie mal versuchen sollte, sich auf Gunter zu freuen.

3
    Der markerschütternde Schrei erwischte ihn unvorbereitet, obwohl er damit hätte rechnen müssen. Will Bastian verdrehte die Augen. Über ihm ging ein Maschinengewehrgewitter dumpfer
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