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Satt Sauber Sicher

Titel: Satt Sauber Sicher
Autoren: Dirk Bernemann
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auch nicht. Der Dienst zu Ende. Der Kopf so leer. Der Roland war jünger und sie weiß nicht mehr, als dass er mal da war, der Roland, und mit ihr getanzt und auch geschlafen hat und dann gegangen ist zu seinem ach so wichtigen Job, zu seinem Berufsleben, ohne das ein Mann wohl nicht leben kann. Der Roland war doch nur ein Junge, denkt die Vera und vermisst ihn tragischerweise sehr, den Jungen, den Roland. Der ist weg. Sehr weit weg. Niemand außer dem Leben meint es wirklich ernst.
    Vera verlässt das Krankenhaus. Wieder nur Gedanken, die wie Schnellzüge vorbeirauschen. Nichts ist wirklich erfassbar. Das Liebespaar nicht, das sonnenbebrillt und Eis schleckend vorbeischlendert. Der Obdachlose nicht, der in seine vor ihm liegende leere Mütze weint, der kleine Junge nicht, der die Hand seiner Mutter küsst, die alte Frau, die ein viel zu großes Brot in einem viel zu roten Kleidwegschleppt. Alle Menschen sind nur Ameisen, denkt die Vera. Alle haben nur diese Missionen im Kopf und gehen auf ihren genetisch vorbestimmten Wegen. Jedes Gesicht, das auch nur den Ansatz eines Lächelns trägt, wird von Vera als falsch empfunden. Lügen in den Gesichtern, in aller Fröhlichkeit und Ausgelassenheit ist doch nur Lüge drin. Die Empfindung wird zur Empfindlichkeit und bleibt.
    Vera in der Bahn. Valiumbeseelt. Fährt in ihre schmutzige Wohnung. Die Betäubung lässt nach. Es ist ein stinkender Nachmittag und die Betäubung lässt nach. Vera weiß, dass man diesen Zustand nicht wegschlafen kann. Noch drei Haltestellen, dann kann sie raus. Muss sie raus. Die Bahn rast und ist laut. Stimmen, Blicke, Unbehagen. Wilde, unförmige Öffentlichkeit. Veras Blick registriert ihr Umfeld. Versucht, sich an Gegenständen und Menschen zu reiben der haltlose Blick. Ein Rucksack steht auf dem Bahnboden und tanzt. Eine dicke Frau ohrfeigt ein kleines Mädchen. Das Mädchen erträgt den Schlag stumm und mit unwirklicher Leichtigkeit. Draußen rasen Körper vorbei. Vera sieht einen Mann in einem Anzug, der aussieht wie jemand, mit dem sie mal geschlafen hat. Die Vergangenheit macht Klingelgeräusche in Veras Kopf.
    Veras Blick wankt durch die Fenster, hinter denen Gebäude und kaputte Bäume vorbeirasen. Ihr gegenüber ein Junge, vielleicht achtzehn. Weite Hosen, Schlabbershirt, wichtiger Blick. Introvertiert wirkend wegen Hip-Hop auf den Ohren. Ab und zu ein Move mit dem Kopf, eine Art Nicken als Zustimmung des Beat-Taktes. Völlige Zustimmung des Gehörten. Musik und Text. Auf dem Walkman rotieren aggressive Blödmänner und rappen sich ihre postpubertären Sex- und Gewaltfantasien von der Hirnrinde. Kevin guckt. Vera guckt. Kevin guckt weg. Kevin denkt: "Alte Frau, bloß weggucken." Vera denkt: "Knackarsch vielleicht irgendwo in dieser endlosen Hose. Penis? Bestimmt."
    Irgendwo versteckt in der 38-jährigen Vera ein Kinderwunsch und der Wunsch nach Arschfick. Sie zieht an Kevins Kopfhörer. Der löst sich von seinen Kinderohren und ein Beat flüstert durch die Atmosphäre. Vera neigt sich runter zu Kevin. "Ich bin 'ne Partyschlampe und ich mag's, besoffen in den Arsch gefickt zu werden." Sie greift ihm an die Hose, ungefähr an die Stelle, wo sie seinen Schwanz vermutet. "Lust mitzukommen?" Vera wundert sich im Inneren über sich selbst, über ihre Handlungen und viel mehr noch über ihre Worte. Sie beobachtet sich wie von außen, als ob sie gar nicht mehr in ihrem Körper zu Hause wäre. Sie mag doch überhaupt keinen Analsex und wer ist dieser doofe, uninteressante Junge, mit dem sie ein Gespräch versucht? Vera ist ganz komisch drauf und hat Kevins Interesse entfacht. Da knistert ein kleines, blödes Feuer und die Bahn hält und beide steigen aus. Kevin läuft wortlos hinter Vera her. Die ist ganz komisch drauf, die Vera, denkt die Vera. Und gleich wird sie gefickt, die Vera, bedeutungslos gefickt. Kevin denkt banale situationsbezogene Kleinigkeiten. Wie es wohl in der Wohnung der fremden Frau aussieht? Und: Yeah! Und: Die hat's aber nötig! Aber fast sieht sie gut aus, nur ein bisschen alt, aber da schwingt dann bestimmt Erfahrung in Großmutters Vaginalstübchen. Vera braucht nur einen hormonellen Ausgleichsfick und Kevin irgendwas, was ihn am Leben erhält. Irgendwas halt eben. Sei es der Blick aus dem Fenster in die trübe Stadt oder eben ein Geschlechtsakt mit einer Unbekannten. Why not, denkt Kevin, why me, Vera.
    Vera und Kevin gehen zu Veras Wohnung. Ein paar Stufen durch ein Treppenhaus. Es stinkt nach Pisse, weil der Aufzug kaputt
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