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Satt Sauber Sicher

Titel: Satt Sauber Sicher
Autoren: Dirk Bernemann
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vorverdauter Kinderkotze vermengt mit Zahnfleischblut mit einem Hauch süßester Fäulnis steht. Das geht in Roland vor. Er ist verdammt nochmal minusglücklich, als er pflichtbewusst die Augen aufmacht und an sich runterguckt. Da liegt unter seinem Kopf ein unterernährter Körper, morgens schon am Ende der Kräfte, gesteuert von einer Psyche, die neurologische Vergleiche sucht. Neurosen wuchern und kein Gärtner in Sicht. Unterfordert, untergeliebt und ausgebrannt. Irgendwie noch in Flammen stehend und doch nur kalte Asche. Was für ein seltsames, stetes Gefühl.
    Er erhebt sich aus dem Bett und der Blick aus dem Fenster macht die Welt öffentlich. Sie ist noch da, die Welt, niemand, der den Vorort über Nacht in Schutt und Asche gelegt hat. Schade, denkt Roland und lässt heftig einen fahren seiner ihn dekonstruierenden Ernährung wegen. Das stinkt und er kratzt sich am Sack, der morgens immer juckt. Aus Gewohnheit. Blöder Hoden. Nur am Jucken und sonst nichts geschissen kriegen.
    Das Bett hinter sich lassend. Roland will diesen Tag nicht überleben, also beginnt er ihn, bevor der Tag ihn beginnt. Das klingt paradox, ist aber der absolute Inbegriff der Logik Rolands.
    Das Bett, der Ort des Traumes. Zurückgelassen steht es da, das ach so tolle Designerbett. Die Bettdecke voller Traumschweiß. Sollte mal jemand waschen. Ist aber niemand da außer Roland und der fühlt sich krank. Zu krank zum Waschen. Ihm ist es egal geworden. Deodorant über die Depression gesprüht und kurzer Wasserkontakt im Bad. Das monotone Surren des Rasierers und das kalte Metall auf der Haut lassen Roland fühlen. Lassen ihn sein Gesicht fühlen und es fühlt sich nicht gut an. Davor ein Spiegel und es sieht auch nicht gut aus. Seine müden Augen verfolgen sein Spiegelbild. Das Spiegelbild beleidigt ihn außerordentlich. Warum dein Gesicht haarlos machen, scheint es zu fragen und Roland weiß darauf keine kluge Antwort.
    Die ersten Schritte sind immer unter Schmerzen, schon seit so langer Zeit ist das so. Schmerzen beim Laufen, immer Schmerzen, am und im ganzen Körper. Roland fühlt sich wie eine offene Wunde, die irgendjemand ständig salzt. Sein Leben ist eine mineralstoffhaltige Fleischwunde, in der sich Bakterienvölker endlosgewordene Kriege liefern. Immer leidenschaftlicher das Schmerzbombardement.
    Die Küche. Sonnenstrahlen brechen sich in der großen, klaren Fensterscheibe. Kinderschreie. Anfahrende Autos. Schmerzen. Roland. Tabletten zum Frühstück. Kaffee. Blick aus dem Fenster. Novembersommer. Soll heißen, draußen ist Sommer und in Roland November und Schlimmeres. Laut Kalender ein Junimorgen, der nichts verspricht außer ein Zittern um Belanglosigkeiten. Draußen ist dieses Leben im und am Existenzmaximum. Zumindest da, wo Roland lebt. Alle haben alles. Keiner hat mehr Unschuld.
    Roland kaspert mit sich rum. Findet sich nicht wirklich, verliert ständig den Faden. Ist unterernährt, mangelversorgt, will kotzen, ist zu schwach dafür. Geht irgendwann los. Er hat einen Job an der Börse. Aktienhandel. In einen Anzug gepresst fühlt sich Roland fast unauffällig. Krawattiert fast überheblich. Die Manie seiner manischen Depression hat sich für einen Moment durchgesetzt, als er die ersten Schritte Richtung S-Bahn-Station wagt. Es hat zwanzig Grad und Roland schwitzt in seinen teuren Anzug. Ist nicht schlimm, denkt der Anzug, ich bin eh nur ein Ding. Jederzeit ersetzbar. Der Anzug ist aber ein schlaues Ding.
    Roland besteigt so eine S-Bahn. Macht er jeden Tag. Er könnte schlafen beim S-Bahn-Besteigen. Alle fahren irgendwohin. Alle in diesen Anzügen. Alle so kaputt und zu traurig zum Anhalten, Innehalten, Luftanhalten, Ausatmen (... viele von diesem Egoistenpack scheinen wirklich einfach nur einzuatmen ...) oder Aus-dem-fahrenden-Zugspringen. Nur Einatmen als grundlegendste Form des Egoismus.
    Alle gucken gleich dumm und Hilflosigkeit schreit aus ihren Poren. Aber sie schweigen. Sie verrecken in Verstecken. Sie verkümmern unter Trümmern. Sie verenden hinter Wänden. Und sie trauern hinter Mauern. In diesen Leuten muss doch irgendwo Hoffnung versteckt sein? Auf irgendwas und wenn es ein guter Fick mit sich selbst ist. Roland schaut Verzweiflung. Nichts anderes. Wo er auch hinschaut: Nichts! Als! Verzweiflung!
    Auf dem Weg zur Arbeit sieht Roland die High-Definition-World vorbeirauschen. Da hat man Werte hochdefiniert für eine Welt, die näher am Abgrund als am Leben ist. Zwei Schritte vom Abgrund entfernt will die Welt
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