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Satt Sauber Sicher

Titel: Satt Sauber Sicher
Autoren: Dirk Bernemann
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Unterführung kommen Gestalten. Randor ist unbeeindruckt, bemerkt nicht die sich nähernden Geschöpfe. Drei gute Deutsche kommen auf den Bahnsteig, alle mit dem debilen Dauergrinsen eines Playmobilmännchens. Turnschuhe, Tennissocken, Trinkterror. Alle drei fein alkoholisiert. Herrengedecke grienen aus ihren Schweinsäuglein. Schales Bier und warmer Korn. Da kommen sie marschiert, die drei Deutschen von der Trinkstelle. Über die Finger gepinkelt haben sie sich auch, das ist in diesen Kreisen so üblich. Mann stinkt nach Urinstinkt. Urin stinkt von seiner Haut. Mitten in Deutschland unter Männern. Kofferträger, Stiefellecker und Parkplatzwächter. Große Ansagen, kleine Taten. Heute König, morgen Schicht.
    Diese Existenzen sind nicht wertvoller als andere, doch nach vier Bier ist man ein hochgeistiges Wesen mit unendlicher Entscheidungskompetenz. Nach dem Gruppensaufen ist man Politiker, Künstler, Intellektueller. Intell ... leck mich doch am Arsch, du Mistding. Solche Leute kommen heran, jeder trägt einen Sack Scheiße, in den er sein Leben gepackt hat, eine Flasche Bier und sich selbst. Kompetenzüberschreitung der Ausgebeuteten möchte man rufen, hält aber lieber die Schnauze, denn mit Deutschen ist Spaß schwer. Hysterische historische Beweise gibt es genug. Die drei kommen, nähern sich dem Gleis, an dem auch Randor wartet und raucht.
    Die Gruppe ist da. Postiert sich wartend. Inhalte werden ausgetauscht. Beziehungsweise das, was man in diesen Kreisen für Inhalte hält. Darauf stützt man sein Leben. Auf die Leere, die eigentlich da ist. "Was haben wir heute aber viel gesoffen ... Wie geil war eigentlich die Blonde. Man, was haben wir gesoffen!" Insgeheim ist man aber mit sich im Unreinen (und mit seiner Haut sowieso) und nur der Alkohol macht diese neue Realität. Obwohl, viel gesoffen stimmt ja. Gehirnreduzierungsmaßnahme. Durch die Nächte, die schlechten und die guten. Immer müssen sie alles aushalten. Deutschland ist ein Land der Hierarchien und die drei Realitätsvermeidungstrinker liegen immer unten. Da gibt es kein Darunter. Nichts, in das man reintreten kann, außer in den Scheißhaufen des eigenen Lebens. Es riecht nach Sommer. Nach einer Nacht, die den Tag wiederhaben will. Der ist nah und ihm dämmert sonntägliches Aufbegehren. Der Tag kommt sekündlich näher.
    Der Bahnsteig ist nun gefüllt mit vier Existenzen. Alles Menschen mag man meinen. Dazwischen glänzt ganz unverblümt ein neu erwachter Holocaust. Du bist Deutschland. "Wat kiekst denn so?" Kurz später sagt einer, der einen Stein aufgehoben hat: "Speak German or die". Unbewusst der Ironie, die er damit transportiert. Das Schwein zur Schlachtbank ... Hier wollen Dinge geschehen ...
    Die Stadt erwacht leise mit den ersten zischenden S-Bahnen und Autos, die beginnen die Straßen zu verstopfen. Fußgänger hat es noch keine, dieses erwachende, noch zu formende Stadtbild, nur Leute, die warten, warten, dass es wieder dunkel wird. Die Sonne will aufgehen und sie macht das, als hätte sie nie etwas anderes getan. Aus der unersättlichen Stille schreit ein Vogel und fliegt danach mit voller Absicht gegen die Fensterscheibe eines Gourmetrestaurants.
    Gegenüber diesem Restaurant sitzt eine übermüdete Vera in einer schmutzigen Mietwohnung und trinkt den ersten Kaffee ihres Tages. Sie schaut in die Weite der verschwindenden Dunkelheit und denkt an ein Leben, bis ihr auffällt, dass es ihr Leben ist, über das sie da nachdenkt, und dass sie es nicht gut findet, dieses Leben zu haben, aber aufgeben will sie auch nicht. Sie denkt an ihren Freund und dass er so ein hübscher Mann ist. Ja, wunderschön ist dieser Neger, wie gemalt, fast wie eine Statue. Vera versteht nie, was er sagt, aber wenn der Neger sie berührt, reißt diese Tatsache alle Mauern ein, die Vera jemals um ihr Herz errichtet hat. Alle Mauern der Coolness schmelzen mit einer Berührung aus Randors Richtung und sie glaubt an die Ernsthaftigkeit dieser Bindung. Der erste Kaffee des Tages, die ersten Gedanken des Tages.
    Vera ist eine dieser Frauen, die mit Ende dreißig immer noch dieses spezielle Stück kindliche Naivität an sich haben, so dass sie so verliebt sein können wie jugendlich leichtsinnige Menschen um die vierzehn, die sich in Lehrer oder ähnlichen Menschenmüll verlieben. Vera hat zwar auch schon einige Enttäuschungen hinter sich, die wirklich sehr wehtaten und wegen derer sie eine gut gemeinte Therapie benötigt hätte, aber sie hat sich immer wieder
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