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Sarg-Legenden

Sarg-Legenden

Titel: Sarg-Legenden
Autoren: Jason Dark
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von ihnen, und diese kaum noch menschlich klingende Stimme mußte von der halbverwesten Gestalt stammen.
    »Ihr seid nicht meine Kinder!«
    ln der Bewegung stoppten sie. Beide bekamen eine Gänsehaut. Es war schon irre genug, daß ein derartiges Wesen auf dem Stuhl hockte. Daß es jetzt noch sprechen konnte, das war einfach zuviel. Und es hatte sich mit einer Stimme gemeldet, die so geklungen hatte wie die auf dem Friedhof. Es war hier nur nicht so deutlich gewesen, jedoch nicht zu überhören.
    Harry Doyle wollte nicht mehr bleiben. »Ich haue ab!« sagte er. »Das ist ja lebensgefährlich.«
    Bill gab ihm keine Antwort. Ihn interessierte die Gestalt auf dem Stuhl. Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, daß sich der Fotograf zurückzog. Sollte er. Bill konnte ihn nicht halten. Er spürte wieder den alten Kampfgeist in sich hochsteigen. Diese Person war ein Phänomen und ein Rätsel zugleich. Beides wollte er lösen.
    »Komm endlich, Conolly.« Doyle war noch einmal stehengeblieben.
    »Nein!«
    Der Fotograf stöhnte auf. Er wußte nicht, ob er bleiben oder verschwinden sollte.
    Bill wartete darauf, daß die Gestalt sich wieder meldete. Er hatte beim erstenmal keine Mundbewegungen erkannt. Die Stimme schien tief aus dem Rachen gedrungen zu sein, als hätte man in dem knochigen Körper ein Tonband eingebaut.
    Bill riskierte es und stellte eine Frage. Er hoffte auf Antwort. »Wer bist du?«
    »Eine Mutter…«
    Jetzt wußte er Bescheid. Sie hatte ihren Mund mit den zerrissenen Lippen nicht bewegt. Der Hals mußte ein Tunnel sein, in dem sich die Worte gebildet hatten.
    »Wessen Mutter?«
    »Ich habe vier Kinder.«
    »Ja, ich weiß. Was ist mit deinem Mann?«
    »Er ist tot.«
    »Lag er auf dem Friedhof?«
    »Wir alle sind tot.«
    »Wie seid ihr gestorben?«
    »Wir mußten sterben. Wir sind freiwillig aus dem Leben geschieden, verstehst du? Es war die Sehnsucht nach dem Neuen und nach der Erlösung auf unsere Art.«
    »Was lebt von euch?«
    »Der Geist.«
    »Auch die Körper?«
    »Nur bei mir.«
    »Und bei deinem Mann, wie?«
    »Ja. Er war anders als wir. Er wollte zu einem Vampir werden. Aber wir haben es besser. Wir können uns immer entscheiden. Man hat uns die Kraft gegeben, zwischen den Welten zu pendeln. Wir sind mal so und mal so. Wir sind tot und doch nicht tot. Wir leben zwischen den Zeiten. Wir existieren mal hier und mal dort.«
    »Wieso?«
    »Das Haus gehört uns.«
    »Ja, das weiß ich. Aber…«
    Er hörte das Lachen. Es klang völlig normal. Sogar menschlich und erinnerte nicht an das Scheusal, das auf dem Stuhl saß. Obwohl Bill einiges erfahren hatte, waren die Rätsel nicht alle gelöst worden. Er wußte nur, daß er hier in ein Spiel zwischen zwei mächtigen Kräften hineingeraten war. Zwischen Tod und Leben. Hier hatte sich ein Zwischenreich geöffnet, dessen Tor durch die Kilrain, wie auch immer, aufgestoßen worden war.
    »Willst du nicht endlich kommen, Bill? Laß das verdammte Monster in Ruhe!«
    Bill wußte nicht, ob er dem Drängen des Fotografen nachgeben sollte. Er fand das Skelett zu interessant. Seine erste Furcht hatte sich gelegt. Er wollte mehr sehen und auch mehr wissen. Vielleicht auch fühlen. Es anfassen und erleben, was geschah…
    »Wo sind deine Kinder?«
    »Sie leben und sind tot.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Hast du sie nicht auf dem Friedhof gehört? Ich jedenfalls habe sie schreien…«
    »Können sie sich zeigen?«
    »Ja.«
    »Und wann?«
    »Sie sind immer hier. Sie bewegen sich auf der Grenze. Sie warten darauf, daß etwas geschieht. Sie werden eingreifen, darauf kannst du dich verlassen. Wir haben die Herrschaft niemals aufgegeben. Wir sind die Kilrains, und wir werden es bleiben. Man kann uns nicht einfach töten, wir sind zu stark.«
    Bill schaute sich um. Er verfluchte es jetzt, seine Waffe nicht mehr zu haben.
    Sein Blick streifte suchend umher. Vielleicht fand er hier etwas, das sich als Waffe eignete. Einen Gegenstand, der schwer genug war, um die Gestalt mit wenigen Schlägen zertrümmern zu können. Erst jetzt wurde ihm auch die Einrichtung bewußt. Er sah die alten Möbel, die noch ins vergangene Jahrhundert gepaßt hätten. Eine Mischung aus Jugendstil und Biedermeier.
    Das geschwungene Sofa stammte aus dieser Zeit, während die Kommode und die Sessel mehr zum Jugendstil hin tendierten. Die waren tatsächlich in einer anderen Zeit gelandet. Oder nur teilweise, denn die Möbel hatten überlebt. Daß eben nur die Gestalt aus der Zeit stammte und einfach nicht hatte
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