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Sarahs Moerder

Sarahs Moerder

Titel: Sarahs Moerder
Autoren: Andrej Longo
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stehen.
    »Commissario, was gibt’s Neues?«
    »Eigentlich nichts«, antwortete er. »Du hast nicht zufällig rausgefunden, worüber Sandro und Sarah gestritten haben?«
    »Hab ich doch schon gesagt, Sandro meint, alles Unsinn, er erinnert sich nicht mal mehr dran. Warum, ist das wichtig?«
    »Nur so eine Idee.«
    In dem Moment kamen zwei Männer in Orange aus der Tür, die eine Liege mit Sarahs Leiche in einem Plastiksack vor sich herschoben. Als die Mutter sie sah, stand sie auf. Der Mann hielt sie fest, vorsichtig, aber entschieden, streichelte ruhig ihren Arm, ohne was zu sagen. Da setzte sie sich wieder hin.
    »Haben Sie mit den Eltern gesprochen?«
    »Nur mit dem Vater. Er hat gesagt, dass seine Tochter Tiermedizin studiert hat, dass an der Uni alles gut lief und dass sie nie in Diskos gegangen ist. Ein ganz normales Mädchen, hat er gesagt, vielleicht ein bisschen schüchtern.«
    Inzwischen hatten die orangenen Männer die Bahre bis zum Auto geschoben, die Tür hinten aufgemacht und eingeladen. Danach schlugen sie die Tür zu, stiegen ein und fuhren los. In dem Moment sprang Sarahs Mutter auf und rannte hinter dem Auto her. Schweigend. Sie rannte einfach nur.
    Es dauerte fast eine Minute, bevor sie bei ihr waren, und als sie sie festhielten, stieß sie einen Schrei aus wie ein verwundetes Tier, der für einen Moment alle anderen Geräusche verschlang.
    Cipriani kam rüber und fragte, was noch zu tun wäre.
    »Für heute Abend reicht’s. Los, nach Hause, Jungs«, sagte der Commissario.
    »Soll ich dich mitnehmen?«, fragte Cipriani.
    Ich wollte allein sein, aber öffentlich nach Torre del Greco zu fahren hätte eine Ewigkeit gedauert, völlig sinnlos. Zum Glück quatschte Cipriani nicht rum, und wir schwiegen während der Fahrt. Auf einmal war ich müde, aber immer noch schossen mir tausend Gedanken durch den Kopf.
    »Geh schlafen, dann geht’s vorbei«, sagte Cipriani, als wir angekommen waren und ich aus dem Auto stieg.
    »Was soll denn vorbeigehen?«, fragte ich gereizt.
    »Schon gut, bis morgen.«
    Wortlos schlug ich die Tür zu und bog in meine Gasse ab.

6.
    Ich zog die Stiefel aus und stopfte sie in den Schrank neben dem Eingang. Die Wanduhr zeigte beinahe Mitternacht. Aus der Küche hörte ich den Fernseher, und in der ganzen Wohnung hing der Geruch von Tomatensauce. Ich verstaute das Holster und die Mütze neben den Stiefeln, hängte die Uniform auf den Bügel und zog mir T-Shirt und Shorts an. Dann ging ich in die Küche. Dort saß Mamma und schlief, den Kopf auf dem Tisch. Sie hatte ihren uralten hellblauen Kittel an. Letzten Monat zu ihrem Geburtstag hatte ich ihr einen neuen geschenkt, mit orientalischem Muster, aber der war ihr wohl zu ausgefallen.
    Sie hatte für mich gedeckt, und auf dem Herd wartete eine Pfanne. Auf der Marmorplatte standen ungefähr zwanzig Flaschen mit Tomatensauce in Reih und Glied. Auf dem Tisch neben ihr Famiglia Cristiana , noch eingeschweißt. Über dem Fernseher mein Vater, der von seinem Foto herunterschaute, so ernst wie immer.
    »Mamma …«
    Sie wachte auf.
    »Oh, da bist du ja.«
    »Warum bist du nicht ins Bett gegangen?«
    »Wie bitte? Wenn ich dich nicht kommen höre abends, kann ich nicht schlafen.«
    »Ach so? Aber in der Küche schlafen.«
    »Ich hab mich ausgeruht, nicht geschlafen.«
    Sie stand auf, zog den Kittel zu und ging an den Herd. Während sie den Kittel zuknöpfte, fielen mir ihre dünnen Beine auf, und ich überlegte, ob sie abgenommen hatte.
    »Ich mach dir dein Essen warm.«
    »Lass ruhig, ich hab keinen Hunger. Geh schlafen.«
    Sie beachtete mich nicht und zündete das Gas unter der Pfanne an.
    »Mamma, bitte«, sagte ich genervt, streckte die Hand aus und stellte das Gas aus.
    »Willst du verhungern?«
    »Ich ess Brot und Käse, gib Ruhe.«
    Ich öffnete den Kühlschrank und griff nach der Weinflasche.
    »Was ist denn mit dir los heute Abend? Du bist so komisch.«
    »Dann bin ich eben komisch.«
    Ich machte den Fernseher aus und goss mir ein halbes Glas ein. Mir fiel ein, wie mein Vater in die Fabrik arbeiten gegangen war, nach Pomigliano d’Arco. Damals war ich keine fünf Jahre alt. Mamma stand jeden Morgen im Stockdunkeln auf und kochte das Mittagessen, das er mitnehmen sollte. Mein Vater hatte ihr tausendmal erklärt, dass es eine Kantine gab und das überflüssig war. Aber sie glaubte, dass sie dort nur Dreck kochten, an dem er sich den Magen verdarb. Und später, als mein Vater frühpensioniert war, kochte sie für meine Brüder, die
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