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Sarahs Moerder

Sarahs Moerder

Titel: Sarahs Moerder
Autoren: Andrej Longo
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nicht gab. An den Wänden hingen drei, vier Tierposter. Dann ein antiker Spiegel mit Holzrahmen, ein Nachttisch mit Schminke und ein Strohkorb voller Ohrringe. Auf dem Tisch eine Lampe, deren Schirm mit Muscheln beklebt war, und auf der Bettkante ein Sweatshirt mit einer schlau dreinschauenden Katze drauf und einer Sprechblase: »Wenn ich zu dir komme, kuschelst du dann mit mir?« In einer Ecke lehnte an der Wand eine Gitarre, und auf einem Sessel saß ein Teddy. Außerdem überall Bücher und Musikkram wie Kassetten und Noten.
    Wie ich das alles so sah, schien es unvorstellbar, dass Sarah tot war. Als müsste sie jeden Moment reinkommen, singend oder so. Wer weiß, wie ich darauf kam, dass sie singen könnte, vielleicht wegen der Gitarre.
    Während ich völlig in Gedanken war, ging der Commissario zum Sessel, beugte sich ein wenig vor, nahm den Teddy und hob das Kissen hoch. Unter dem Kissen lag ein zerrissenes Foto. Der Commissario legte die beiden Teile auf den Nachttisch, setzte eine Brille auf und fügte sie zusammen.
    Auf dem Foto umarmte Sarah einen Jungen. Beide lächelten, und drunter stand: »Sandro and Sarah forever«. Der Commissario und ich schauten uns an. Er wollte was sagen, als das Telefon klingelte.
    Es stand auf dem Boden neben dem Bett.
    Beim dritten Klingeln sagte der Commissario:
    »Was ist, willst du erst noch ’nen Kaffee, oder wann hast du vor ranzugehen?«
    Ich ging zum Bett und nahm ab.
    »Hallo …«
    »Hallo … kann ich bitte mit Sarah sprechen?«
    Eine Männerstimme, freundlich, ein wenig aufgeregt.
    »Da ist doch Lo Russo, oder?«
    »Ja.«
    »Kann ich Sarah sprechen?«
    Was sollte ich sagen? Dass sie nicht ans Telefon kommen konnte, weil sie tot war?
    »Hallo?«, sagte er noch zweimal.
    Der Commissario nahm mir den Hörer aus der Hand.
    »Wer ist denn da?«, fragte er.
    »Sandro, Sandro Cangiullo, ich möchte mit Sarah sprechen.«

5.
    Bis zum Hafen von Mergellina brauchte ich zu Fuß eine Viertelstunde. Das nächste Tragflächenboot fuhr gleich ab. Ich kaufte mir eine Fahrkarte und rannte aufs Schiff. Weil es voll war, suchte ich mir einen Platz unter Deck, da war weniger los. Einen Moment später legten wir ab. Bis das Schiff aus dem Hafen war, lief der Motor langsam, dann gaben sie Gas, das Boot hob sich auf die Tragflächen und raste in Richtung Capri.
    Als der Commissario Sandro gesagt hatte, dass Sarah tot war, hatte der aufgelegt, aber keine zwei Minuten später nochmal angerufen. Er sprach abgehackt, sagte, es wäre seine Schuld und einen Augenblick später, dass er nicht wüsste, was er tun sollte, manchmal schien er zu weinen, jedenfalls hast du nichts kapiert. Der Commissario versuchte, ihn zu beruhigen, völlig aussichtslos. Dann wurde die Verbindung unterbrochen, oder er hatte aufgelegt. Weil der Commissario beim Telefonieren hörte, wie Geld durchfiel, glaubte er, dass Cangiullo nicht in Neapel sein konnte, sondern vielleicht wirklich auf Capri. Deshalb hatte er sich mit dem Kommissariat dort in Verbindung gesetzt, erklärt, dass es vielleicht um einen Mord ging, Cangiullo nach dem Foto beschrieben und gesagt, dass seine Eltern auf der Insel ein Haus gemietet hatten. Er bat darum, uns Bescheid zu geben, wenn sie ihn fanden.
    Während wir auf den Rückruf warteten, suchten wir nach einem Tagebuch von Sarah oder irgendwelchen Notizen, die uns weiterhelfen könnten, aber wir fanden nichts. Nur ein Adressbuch mit Telefonnummern im Nachttisch, das der Commissario in die Tasche steckte.
    Dann schickte er mich los, um nachzusehen, wie weit Cipriani mit der Liste der Hausbewohner war. Cipriani hatte den Pförtner erreicht, in Kalabrien, wo er seit Anfang August in Ferien war. Er telefonierte rum, um seine Liste fertig zu kriegen.
    Im Erdgeschoss wohnte außer dem Pförtner noch ein gewisser Cimmino. Er arbeitete als Ingenieur beim Katasteramt und war grade nicht in Neapel. Jedenfalls sagte mir das sein Vater, aber der war wohl nicht ganz richtig im Kopf, und ich wusste nicht mal, ob der überhaupt kapiert hatte, dass ich von der Polizei war.
    Da der Anruf aus Capri nicht kam und auf der ersten Etage nur die Lo Russo und der Lehrer wohnten, ging ich in den zweiten Stock, um da mit jemandem zu sprechen. In zwei Wohnungen war keiner, weil das hatte mir Cipriani schon gesagt, die Leute waren verreist, und wir konnten sie von der Liste streichen. In der anderen wohnte ein pensionierter Anwalt, Santoro, den ich schon unten im Flur gesehen hatte, und dem es offensichtlich leid um Sarah
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