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Sarahs Moerder

Sarahs Moerder

Titel: Sarahs Moerder
Autoren: Andrej Longo
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Steuer.
    Am Anfang, während der ersten Zeit hier, wollte er das überhaupt nicht. Der Verkehr ist der Wahnsinn, hat er gesagt, da könnte er nicht fahren. Er war eben aus Brescia, was wussten die schon von Verkehr? Als ich im Norden war, bei meinem Bruder, hab ich mal einen Abstecher dorthin gemacht. Gut organisiert, sauber, ordentlich, alles funktioniert, alles ist, wo es hingehört. Zum Beispiel die Busse, die kommen nicht wie bei uns nur alle Jubeljahre. Dort gibt es an der Haltestelle ein Schild, auf dem steht, dass der Bus alle zwölf Minuten kommt, und das tut er dann auch. Wenn einer seinen Kaffee in der Bar trinkt, lässt er das Auto nicht mitten auf der Straße stehen, wie es ihm grade passt. Und dann keine Überfälle, auf der Post alle ordentlich hintereinander in der Schlange, alles ruhig. Als ob nie was passiert, und vielleicht passiert wirklich nie was. Nicht, dass es hier besser ist, aber ab und zu muss schon was los sein. Jedenfalls gewöhnte sich Cipriani langsam an den Verkehr, und inzwischen ließ ich ihn fahren, wenn wir zusammen auf Streife waren, da sparte ich mir den Stress.
    Wegen der Hitze hatte ich mein Hemd aufgemacht und das Pistolenholster abgelegt. Cipriani hatte nicht mal die Mütze abgesetzt. Ich kurbelte die Fenster runter, aber von draußen kam noch heißere Luft rein. Und Fliegen. Wie in Afrika. Ich war noch nie in Afrika, aber immer, wenn sie im Fernsehen irgendwas von da zeigen, haben die Leute Fliegen im Gesicht, vor allem die Kinder. Deshalb stelle ich mir immer vor, dass es bei uns im August genauso ist, dieselbe Hitze, dieselben Fliegen. Ich machte die Fenster zu und versuchte, die Lüftung anzustellen, aber die war kaputt, und bis sie die reparieren, das kann dauern.
    Auf der Straße fuhr nur ab und zu ein Auto vorbei. Die Geschäfte waren alle zu, und die paar Leute, die unterwegs waren, liefen im Schatten an den Häuserwänden entlang.
    »Na Ciprià, wie in Brescia hier heute, oder?«
    Er lächelte gequält und antwortete nicht.
    »Scheiße, muss man dir jedes Wort aus der Nase ziehen?«
    Weil er weiterschwieg, ließ ich ihn in Ruhe.
    Auf der Piazza Vittoria überholten wir eine Straßenbahn, in der außer dem Fahrer nur ein alter Mann saß, das Gesicht an die Scheibe gelehnt. In Santa Lucia kam uns ein Mofa mit drei Jungs drauf entgegen, die in Richtung Strand fuhren. Nicht älter als zehn oder so.
    Cipriani schaute mich an.
    »Lass gut sein, Ciprià.«
    Er seufzte, sagte aber nichts. Gott sei Dank, dachte ich, lernt der endlich, wie man hier durchkommt.
    Gegen halb drei hielten wir vor Madonnas Kiosk in Mergellina. Die nennt sich so, weil sie meint, dass sie wie Madonna aussieht und besser singt. Keine Ahnung, wie sie singt, aber wie Madonna sieht sie jedenfalls nicht aus mit ihren zwei Zentnern und dem Gesicht voll roter Pickel. Sie saß unter einem Sonnenschirm, die geschwollenen Füße im Eimer mit den gekühlten Getränken.
    »’Ne Cola und ’ne Flasche Wasser, Madò.«
    Ohne die Füße aus dem Eimer zu nehmen, gab sie mir eine Cola und ein Wasser. Ich zog mein Portemonnaie raus, aber sie wollte kein Geld. Seit ich bei der Polizei bin, muss ich an keinem Kiosk mehr bezahlen. Die haben alle keine Konzession, aber egal, wir lassen sie in Ruhe, die stören niemanden. Deshalb nehmen sie auch kein Geld von uns. Ich versuche trotzdem immer zu bezahlen, so zu tun, als wäre das normal, finde ich nicht okay.
    Dann ging ich an den Tisch, wo Cipriani auf mich wartete. Obwohl er schwitzte wie ein Schwein, setzte er die Mütze nicht ab. Der Schweiß lief ihm die Stirn runter, aber er gab keinen Mucks von sich, als ginge ihn das nichts an.
    Ich setzte mich und packte den Panino von Mamma aus, mit Mozzarella und Auberginen drauf.
    »Willst du ein Stück, Ciprià?«
    »Nein danke, ich hab schon gegessen.«
    »Probier doch wenigstens.«
    »Nein, wirklich nicht.«
    Ich biss ab, er trank einen Schluck Wasser.
    »Ist es hier im August immer so heiß?«
    »Ist dieses Jahr schlimmer als sonst«, sagte ich und aß weiter.
    Cipriani schaute zum Strand. Ein Sonnenschirm am anderen, alle am Baden.
    »Magst du das Meer?«
    »Mir sind die Berge lieber.«
    »Wir haben den Vesuv.«
    »Das ist was anderes.«
    »Wieso denn, ist dir wohl nicht hoch genug?«
    »Ach, vergiss es.«
    »Aber weißt du was? Während der Saison mag ich das Meer auch nicht.«
    »Welche Saison?«
    »Die Saison, Ciprià, der Sommer, August. Zu viel Dreckspack. Da musst du betteln, um irgendwo dein Handtuch hinlegen zu
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