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Sarahs Moerder

Sarahs Moerder

Titel: Sarahs Moerder
Autoren: Andrej Longo
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den Rücken zu.
    Dann nahm er eine Handvoll Nüsse und schob sie sich in den Mund.
    Als er sich zu uns umdrehte, schaute ihm der Commissario fest in die Augen. Der Lehrer fasste sich drei- oder viermal an den Bart.
    »Wenn ich was wüsste, würde ich es sagen«, erklärte er mit vollem Mund.
    »Gut, wo Sie uns alles gesagt haben, wollen wir Sie nicht weiter aufhalten.«
    Der Commissario ging Richtung Tür, ich hinterher. Plötzlich blieb er stehen, guckte sich um und fragte:
    »Sie leben allein, nicht wahr?«
    »Ja, ich habe mich vor drei Jahren getrennt.«
    Während er uns zur Tür begleitete, lächelte er.
    »Ach ja, die Frauen … verlässt du dich auf sie, bist du verlassen – so sagt man doch, oder, Commissario?«
    Der schaute ihn einen Augenblick lang an und sagte dann kühl:
    »Danke für Ihre Mitarbeit, Professore.«
    »Keine Ursache. Ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung.«
    »Die armen Schüler«, sagte ich, als wir runter in den Flur gingen, »mit so einem Lehrer sind sie gearscht.«
    Der Commissario nickte schweigend.
    »Was sollte dieser Spruch über Frauen?«
    Der Commissario schwieg weiter. Weil er nachdachte, sagte ich nichts mehr. Der Lehrer ging mir nicht aus dem Kopf. Der war komisch, und irgendwas hatte er zu verbergen. Wer weiß, vielleicht hatte er ja Sarah umgebracht.
    »Was meinst du, wie der schwarze Staub an Sarahs Hände gekommen ist?«, fragte der Commissario plötzlich.
    »Ist doch klar, von dem Eisenrohr, Commissario.«
    Er ging ein paar Schritte im Flur vor mir her.
    »Kann sein.«
    Dann drehte er sich um.
    »Aber was wollte sie mit dem Rohr?«
    Ich überlegte, mir fiel aber nichts ein.
    »Lass uns mal nachdenken«, sagte der Commissario. »Wir wissen, dass Sandro und Sarah sich gestritten haben. Wir wissen auch, dass Sandro um 15 Uhr 15 hierhergekommen ist und zweimal gepfiffen hat. Diese Aussage müssen wir verifizieren, aber gehen wir jetzt mal davon aus, dass sie stimmt. Also, der Junge pfeift, Sarah lässt ihn nicht rein, vielleicht antwortet sie nicht mal. Sandro verschwindet. Um 15 Uhr 30, das ist sicher, ruft Sarah ihre Eltern in Roccaraso an. Sie ist traurig, es ist die Woche von Ferragosto, all ihre Freunde sind am Meer, und ihr tut es leid, dass sie sich mit ihrem Freund verstritten hat, mit dem sie nach Capri fahren sollte. Aber dann kommt Sandro kurz danach zurück. Er will reden, alles erklären, sich wieder vertragen. Sie will nicht, dass er hochkommt. Deshalb geht sie aus der Wohnung, lässt die Tür angelehnt, geht runter in den Flur und öffnet die Haustür. Was dann passiert, wissen wir nicht. Ein Wort zu viel, Eifersucht, sie sind gereizt wegen der Hitze, jedenfalls fangen sie wieder an zu streiten. Irgendwann wird Sandro handgreiflich. Sarah kriegt Angst und rennt in Richtung Treppe. Aber Sandro folgt ihr, holt sie ein und schlägt zu. Sie reißt sich los, rennt wieder weg, diesmal in Richtung Brunnen. Als sie die Eisenrohre sieht, nimmt sie eins, um sich zu wehren. So werden ihre Hände schmutzig. Aber der Typ entwaffnet sie und schlägt ihr mit dem Rohr auf die Stirn. Ein, zwei, drei Schläge, sie hat nicht mal Zeit zu schreien. Dann sieht er das Blut, die Wunde, kriegt einen Schreck und haut ab. Sarah ist allein, ihr wird schlecht. Sie lehnt sich an die Wand, schafft es aber nicht die Treppe hoch. Sie macht ein paar Schritte in Richtung Haustür, taumelt, dann hat sie keine Kraft mehr. Sie fällt zu Boden und stirbt kurz darauf.«
    Einen Moment lang standen wir schweigend im dunklen Hausflur.
    Ich konnte Sarah sehen, wie sie mit ihrem Freund streitet. Wie sie abhaut und er hinterher. Dann die Schläge mit dem Eisenrohr, Blut, sein Schreck, die Flucht, und Sarah alleine. Ihre unsicheren Schritte, der Schuh rutscht ihr vom Fuß, dann fällt sie hin.
    »Kann sein«, sagte ich kaum hörbar.
    »Kann sein, aber jetzt schauen wir uns erst mal die Wohnung an, bevor die Eltern und die Spurensicherung kommen.«
    Kaum waren wir in Sarahs Zimmer, tauchte die graublaue Katze wieder auf. Sie setzte sich vor die Tür und sah zu, was wir da machten, als wollte sie uns kontrollieren. Ich war ja schon in der Wohnung gewesen, um sicherzugehen, dass dort keiner war. Aber in Sarahs Zimmer hatte ich nur einen kurzen Blick geworfen.
    Jetzt, wo wir mehr Zeit hatten, sah ich Einzelheiten, die mir vorher nicht aufgefallen waren. Zum Beispiel standen auf den Regalen bunte Gläschen, Schachteln in allen Formen, eine komische Sonnenbrille, alles Dinge, die es in normalen Geschäften
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