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Sarahs Moerder

Sarahs Moerder

Titel: Sarahs Moerder
Autoren: Andrej Longo
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auf dem Bau arbeiteten. Mamma war wirklich eine gute Köchin, aber sie musste immer übertreiben.
    Jetzt setzte sie sich neben mich, nahm sich die Famiglia Cristiana und betrachtete sie, ohne die Folie abzumachen. Auf dem Cover streichelte der Papst zwei Kinder. Sie spielte ein wenig mit der Zeitschrift rum, dann legte sie sie weg.
    »Ich hab einen Film über Vulkane gesehen«, sagte sie, und machte eine Pause, um abzuwarten, ob ich antwortete. Weil ich schwieg, redete sie weiter.
    »Wusstest du eigentlich, dass der Vesuv jeden Moment ausbrechen kann?«
    Dass der Vesuv rumspucken könnte, wäre mir nie in den Sinn gekommen. Ich antwortete nicht und schnitt mir ein Stück Käse zum Wein ab.
    »Ich habe mit Tonino gesprochen«, sagte sie.
    Sie konnte einfach nicht den Mund halten. Vielleicht weil sie den ganzen Tag alleine war und abends jemanden zum Reden brauchte. Aber um die Uhrzeit hatte ich keinen Nerv, ihr zuzuhören. Das hatte ich ihr mal erklärt, aber am nächsten Tag hatte sie es schon wieder vergessen.
    »Und wie geht’s ihm?«
    »Alles okay. Er sagt, Ende August kommt er vielleicht auf einen Sprung mit den Kindern her.«
    Als mein Vater noch lebte, war sie anders. Sie sagte nie was, du musstest ihr jedes Wort aus der Nase ziehen, und sie beklagte sich nie. So, dass mein Vater sagte, um sie zu ärgern: Caterì, du hast wohl deine Zunge verschluckt?
    Sie nahm alles schweigend hin, wie gottgegeben. Auch als mein Vater starb, kein Ton. Dann, als meine Brüder von zuhause weg sind und nur ich übrig blieb, ging es los. Als ob alles, was sie ihr Leben lang nicht gesagt hatte, im Alter rausmusste.
    »Ich hab Tomatensauce gemacht, damit du dir jederzeit ein paar Spaghetti kochen kannst und die Sauce schon fertig ist.«
    »Bei der Hitze? Bist du wahnsinnig?«
    »Nur, um irgendwas zu machen. Und wenn Tonino kommt, kann ich ihm auch ein paar Flaschen geben. Aber du bist wirklich komisch, ist auf der Arbeit alles in Ordnung?«
    »Ja, alles in Ordnung.«
    Ich biss von dem Brot mit Käse ab. Sie strich die Tischdecke glatt.
    »Weißt du noch, Michele, Titinas Sohn«
    Sie wollte jetzt doch wohl nicht im Ernst mit dem Sohn von Titina anfangen.
    »Titina, die euch Eier gebracht hat, als ihr klein wart.«
    Und so weiter, eine Viertelstunde über irgendwelchen Mist zwischen Michele und seiner Frau. Weil er sonntags auf Hunderennen wettete und sie lieber mit ihm am Meer spazieren gehen und Eis essen wollte. Eine geschlagene Viertelstunde. Wo ich diesen Michele gar nicht kannte.
    Als ich ihr einen Kuss auf die Stirn gab, weil ich schlafen gehen wollte, war sie immer noch dran. Auch noch, als ich ins Schlafzimmer ging und die Tür hinter mir zumachte.
    Ich putzte mir die Zähne, zog das T-Shirt aus und legte mich aufs Bett.
    Obwohl ich hundemüde war, konnte ich nicht einschlafen, sosehr ich mich auch hin- und herwarf. Erst dachte ich, wegen der Hitze, man bekam ja kaum Luft. Aber irgendwann, ich meinte, ich hätte es fast geschafft und war schon halb weg, sah ich Sarahs Augen vor mir. Ich machte sie zu, aber sie gingen immer wieder auf und starrten mich an, als ob sie mir was sagen wollten. Ich drehte mich um, zwang mich, an was anderes zu denken, aber diese Augen waren immer da. Und wenn es nicht die Augen waren, waren es der Fuß ohne Schuh, die lila lackierten Nägel oder der Teddy auf dem Sessel.
    Irgendwann konnte ich nicht mehr, machte Licht und holte meine Hose aus dem Schrank. In der Tasche fand ich das mit Tesa zusammengeklebte Foto, das, auf dem sie ihren Freund umarmt, und schaute es mir an.
    Ich hatte Sarah nicht gekannt, konnte aber trotzdem nicht glauben, dass sie tot war. Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen. Aber vielleicht gab es da nichts vorzustellen, vielleicht lag es daran, dass ich die Leiche gefunden hatte und es das erste Mal für mich war.
    Es wurde schon fast hell hinter den Rollläden, als ich endlich einschlief. Bald danach klingelte der Wecker, und es kam mir vor, als hätte ich kein Auge zugetan.

7.
    Als ich ins Kommissariat kam, zog Scarano eine Show ab, und alle standen um ihn rum. Scarano hat wirklich den falschen Beruf, er hätte Schauspieler werden sollen. Wenn der nur den Mund aufmacht, liegst du auf dem Boden vor Lachen – die Gesten, die Grimassen, du kannst gar nicht anders.
    Grade erzählte er, wie der Polizeipräsident am Morgen gegen acht angerufen hatte, weil er dringend den Commissario sehen wollte. Da der Fiat vom Commissario nicht angesprungen war, hatte Scarano ihn
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