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Sarahs Moerder

Sarahs Moerder

Titel: Sarahs Moerder
Autoren: Andrej Longo
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Cipriani gehen durfte. Er schaute mich überrascht an, weil normalerweise kümmere ich mich lieber um den Schreibkram im Büro.
    »Cipriani ist aus Brescia, Commissario, da können wir gleich mit Blaulicht in die Sanità fahren.«
    »Na gut, aber in Zivil.«
    Ich nickte und ging los, voller Tatendrang.

8.
    In der Sanità trieb sich dasselbe Pack rum wie immer, obwohl es die Woche von Ferragosto war. Frauen schlurften über den Platz, beladen mit Einkaufstüten, verschwitzt, die geschwollenen Venen sahen so aus, als würden sie beim nächsten Schritt platzen. Alte Männer saßen vor den Läden im Schatten der Häuser, dort war es kühler. Typen palaverten über ihre Geschäfte, Kippe im Mund und immer kurz vor der nächsten Zote. Ab und zu schwang eine Tussi in zu engem T-Shirt ihren Arsch vorbei. Eine Alte beugte sich vom Balkon und schrie irgendwas runter. Und die Halbstarken röhrten auf ihren Mopeds rum, das Vorderrad in der Luft, große Käfer, die wild durcheinanderkrabbeln. Wäsche draußen auf der Leine. Alle paar Meter eine Kapelle mit einem anderen Heiligen. Und mitten in diesem ohrenbetäubenden Chaos, mitten in dem beruhigenden Geruch von Tomatensauce und frischer Wäsche machen sie die unglaublichsten Deals. Du musst nur in eine der kleinen Gassen ringsum abbiegen, ins feuchte Halbdunkel von irgendeinem Hauseingang abtauchen, und da gehen blitzschnell Geld, Pistolen, Beutel mit Hasch oder Stoff zum Spritzen, Raubkopien von Filmen, die noch nicht mal im Kino laufen, von Hand zu Hand, und wer will, kann sich auch eine Kalaschnikow besorgen, um offene Fragen ein für alle Mal zu klären.
    »Schau nicht hin, sonst sind wir am Arsch«, sagte Lo Masto.
    Nun war ich schon wer weiß wie oft in diesem Viertel gewesen, aber es war was anderes, einfach nur rumzulaufen, als hier zu wohnen, zu wissen, wo du abends dein Bier trinkst, wen du grüßt und wen besser nicht.
    Ich zwang mich, locker zu bleiben, und wir gingen Richtung Fontanelle hoch, ohne dass was passierte.
    »Bist du von hier, Lo Mà?«
    »Schön wär’s, das kannste nicht Viertel nennen, wo ich wohne, das ist das Ghetto.«
    »Nun übertreib mal nicht.«
    »Glaub’s mir – keine Bar, kein Platz, kein Kino, und mit all dem Grün ringsum nicht mal ein Fußballfeld. Fuck, die wollen die armen Schweine da echt plattmachen.«
    Ich wollte ihn grade fragen, weshalb er Polizist geworden war, als er mit dem Kopf auf eine Wohnung im Erdgeschoss wies. Dort stand einer mit nacktem Oberkörper und vom Fitnessstudio aufgepumpten Muskeln. Er hatte gegelte Haare und baggerte ganz cool eine lachende Dunkelhaarige an.
    »Das ist er«, sagte Lo Masto.
    Er sah anders aus als auf dem Foto, deshalb erkannte ich ihn nicht sofort. Ich musste an Sarah neben so einem Typen denken – total absurd. Wir wollten zu ihm hin, hatten aber noch keinen Schritt getan, als jemand hinter uns Alarm schlug.
    »Feuer! Genny, Feuer! Hau ab!«
    Irgend so ein zehnjähriger Hosenscheißer, keine Ahnung, warum wir dem aufgefallen waren. Sicher folgte er uns schon eine Weile.
    Genny sah uns und war sofort durch die Gasse weg. Wir hinterher.
    Er rannte schnell, war ja trainiert, aber Lo Masto und ich hingen ihm an den Fersen. Als wir ihn beinahe hatten, hielt er plötzlich ein Mofa an, warf den Fahrer gegen die Mauer und schoss los. Keine Chance mehr für uns. Wir liefen zwanzig Meter weiter und hielten dann fluchend an. Als er merkte, dass wir aufgaben, drehte er sich nach uns um, schnitt Grimassen und knallte dabei in ein parkendes Auto. Er fiel hin, sprang sofort wieder auf und rannte ohne Mofa weiter. Wir hinterher. Ich merkte, dass er langsamer lief und sich an den Oberschenkel griff, auf den er gefallen war. Inzwischen hatten wir ihn fast, aber er rannte von der Gasse weg in ein Kellerloch rein.
    Wir hinterher.
    Die Wohnung lag im Halbdunkel und stank nach Rauch und vergammelten Zwiebeln. Auf einer Seite dröhnte auf einer Kommode neben dem Gasherd der Fernseher. Auf der anderen Seite saß ein spindeldürrer Alter auf einem Bett und schlürfte Milchsuppe.
    »In so ’nem Loch kann man wohnen?«, fragte Lo Masto.
    Der Alte beachtete uns nicht und zermalmte weiter sein eingetunktes Brot mit den Lippen, weil er keine Zähne mehr hatte.
    Lo Masto riss ein schmutziges Bettlaken von der Decke, dahinter waren das Klo und so ein schmales Fensterloch ohne Glas.
    »Mach schnell«, schrie er.
    Er sprang auf das Klo und zwängte sich durchs Fenster, ich hinterher.
    Wir landeten auf einem Platz. Lo
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