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Sankya

Sankya

Titel: Sankya
Autoren: Zakhar Prilepin
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eingetretenen Milizionäre, alle sechs, schauten entgeistert abwechselnd auf den Diensthabenden und auf den, der da am Boden in der Blutlache lag.
    »Wir haben euch mächtig reingelegt!«, erklärte der über und über strahlende Wenja, aber das half schon nichts mehr, einer der Milizionäre zog die MP von der Schulter.
    »Wenn eine Schlägerei und noch dazu eine Schießerei beginnt, kommen wir mit einer solchen Menge nicht mehr zurecht, wir sind nur acht«, erkannte Sascha im selben Moment, nicht mit dem Verstand, sondern mit dem Schädel, mit der Haut, dem Brustkorb und den Nerven.
    »Achtung! Das ist eine Besetzung!«, schrie er. »Wir sind ungefähr zweihundert Mann im Gebäude! Keine Bewegung! Alle werden am Leben bleiben! Das Gebäude ist besetzt!«
    Wie zur Bestätigung seiner Worte liefen aus dem Wachzimmer noch drei »Sojusniki« heraus, die Maschinenpistolen im Anschlag.
    »Alle zur Wand! An die Wand! Hände an die Wand!«, schrie Sascha, der den ihm am nächsten stehenden Milizionär am Kragen packte und ihn beinahe gegen die Mauer schleuderte; er wusste, in jedem Moment konnte jemand abdrücken, und dann wäre alles vorbei.
    »Das ist eine Besetzung! Das Gesicht zur Wand!«, brüllte Sascha weiter, der irgendwoher wusste, dass ein Mensch, der gegen die Wand schaut, schon keine Widerstand mehr leisten will.
    »Stehen bleiben! Hände an die Wand! Es ist alles vermint! Keine Bewegung!«, schrie Oleg, der aus dem Wachzimmer gelaufen kam, mit der gut geölten, bellenden Stimme eines Sondereinheitlers.
    Einer der Milizionäre riss sich trotzdem los, aber es war zu spät – die anderen machten schon nicht mehr mit … Er wurde zu Boden geworfen, sie stiegen ihm ins Genick …
    Der Diensthabende stand noch immer mit seinem verzerrten Gesicht da, verfolgte das Geschehen, er konnte nicht eingreifen …
    Isolierband gab es keines mehr, sie legten einfach alle auf den Boden, fummelten lange an den Pistolen herum – die waren an Spezialriemen befestigt, nicht einfach loszumachen … Dem Falschen, der eine MP hatte, überließen sie die Bewachung der Liegenden.
    »Sascha, du Hundesohn, dort ist ein Guckloch in der Tür!«, schimpfte Oleg, der die Waffenkammer aufbrach. »So ’ne Scheiße, hast du nicht geschaut? Du hättest ein ganzes Bataillon hereinlassen können!«
    »Und wo hast du hingeschaut?«, schimpfte Sascha zurück. »Ich dachte, da ist der Fahrer gekommen. Wer sind die überhaupt?«
    »Das ist der nächtliche Streifendienst.« Oleg ließ die »Sojusniki« in die Waffenkammer, schrie: »Schnell alles mitnehmen, schnell!«
    Sie schleppten die Waffen zum Bus – den hatten sie direkt an die Tür herangefahren.
    »Alles nehmen wir nicht mit – das ist beschissen viel«, sagte Sascha. »Lass uns verschwinden. Wir sind schon zu spät dran.«
    »Los, ja, sonst kommen gleich noch die anderen Streifen – die haben bald Schichtwechsel. Wir vertrödeln unsere Zeit mit denen …«, stimmte Oleg zu.
    Die Waffen hatten im Autobus schon keinen Platz mehr, die Gewehre ragten heraus, als hätten sie einen riesigen, bösen Igel in den Fahrerraum gezerrt, dessen Stacheln nun gegen das Glas drückten.
    Sie jagten die ganze Miliz auf die Straße – dort standen sie dann als kläglicher Haufen vor dem Gebäude, in Handschellen, manche mit einem Klebeband über dem Mund, andere ohne. Die Frau trug Pantoffeln, ein junger Typ von den »Sojusniki« hatte ihr eine Fufaika über die Schultern geworfen. Bei einigen floss Blut übers Gesicht. Sie schauten das unbekannte Volk im Tarnanzug an – der eine mit Verachtung, ein anderer voller Schreck, ein Dritter mit blutrünstigem Hass.
    »Wir lassen euch in Frieden ziehen! Geht unter die Menschen!«, erklärte mit Pastorenstimme der wie noch nie im Leben zufriedene Wenja den Milizionären. »Geht, sage ich euch!«; er schüttelte die Maschinenpistole.
    Die Milizionäre stolperten durch den Schneematsch, die Hände verdreht und mit »Armbändern« versehen, trotteten sie vom Gebäude weg – es wurde schon mit Benzin übergossen.
    »Teufel!!«, schrie einer, der sich umgedreht hatte. Niemand achtete darauf.
    »Schade, dass wir nicht zuschauen können, wie es brennt«, bedauerte Wenja und blickte auf das Gebäude.
    »Nicht schade«, antwortete Sascha und startete das Auto. Die Stadt wurde heller, sie wurde von säuerlichem, krankem Morgenlicht erhellt.
    Die Häuser tauchten aus dem nassen Nebel auf, hässliche Gespenster in Krankenhauspyjamas.
    Saschas Gesicht fühlte sich wie
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