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Sanctum

Sanctum

Titel: Sanctum
Autoren: Markus Heitz
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sich an ihre Lügen und an die Sünde, die sie mit Jean begangen hatte. Nach wie vor bereute sie ihre Verfehlung nicht. »Ich bin mir nicht so sicher, Sarai«, raunte sie und hustete wieder, dieses Mal drohte sie fast daran zu ersticken.
    Schnell richtete die Seraph ihren Oberkörper auf, und als der Anfall vorbei war, gab sie ihr etwas aus einem Becher zu trinken, den sie schon bei ihrem Eintreten in Gregorias Zimmer bei sich getragen hatte. »Es wird Euch gut tun.«
    Gregoria schluckte – und spürte sofort ein warmes, wohliges Gefühl, das ihren gesamten Körper durchströmte und in jede einzelne Faser fuhr. Mit jedem Atemzug fühlte sie sich kräftiger und gesünder. Die graubraunen Augen richteten sich auf Sarai. »Was hast du mir …« Sie sah, dass die Seraph einen Flakon in der Hand hielt.
    »Es ist mein Sanctum, ehrwürdige Äbtissin.«
    »Aber …«
    »Nur ich entscheide, was ich damit tue. Und lieber sterbe ich bei einer Mission durch die Wunden, die mir ein Wandelwesen schlägt, als dass ich Euch dem Tod überlasse.« Sie schluckte. »Man sieht, dass es Euch hilft, Äbtissin.«
    Gregoria setzte zu einem Tadel an, weil sich ihre Vorräte an Sanctum auf wenige Phiolen beliefen und dringend aufgestockt werden mussten; umso kostbarer war die Spende, die Sarai geleistet hatte. Sie öffnete den Mund als das Licht mit neuer Macht durch die Scheibe strahlte und donnernd Glas und Rahmen sprengte. Splitter prasselten auf sie nieder, sie schrie und hob schützend die Arme. Eine Vision brach über sie herein.
    Der Raum war erfüllt von gleißender Helligkeit, sie blinzelte, drehte den Kopf zum Fenster und starrte durch die Finger dorthin, wo sich nun Dunkelheit auszubreiten begann. Der Raum, Sarai, selbst ihr Bett verschwanden. Dann formte sich eine Szene aus der Finsternis.
    Sie sah einen prunkvoll gekleideten König, umgeben von brüllenden, tobenden Menschen. Man führte ihn die Stufen einer hölzernen Plattform hinauf deren Dielen blutgetränkt waren. Die Masse schrie und verlangte nach dem Kopf des Königs, hinter dessen Rücken ein etwa zehnjähriges Mädchen hervortrat und ihn anlächelte. Gregoria erkannte Marianna.
    Das Kind wuchs rasend schnell, wurde zu einer jungen Frau, während die zu klein gewordenen Kleider an den Nähten aufrissen und von ihr abfielen, so dass sie entblößt vor der kreischenden Menge stand. Der König schaute auf ihre festen, nackten Brüste und streckte die Hände nach ihnen aus.
    Marianna öffnete die Lippen und stieß ein tiefes Brüllen aus, wie Gregoria es von der Bestie kannte; und schon im nächsten Moment begann die Verwandlung der jungen Frau in einen Loup-Garou. Die Menschen rannten schreiend von dem Podest weg, während Gregoria sich nicht bewegen konnte. Gebannt verfolgte sie, wie die Werwölfin dem König mit einem mächtigen Hieb den Kopf abtrennte und danach über den zurückweichenden Henker herfiel. Das Blut, das unaufhörlich aus dem königlichen Halsstumpf sprudelte, füllte den Platz, stieg und ließ den Ort in einem roten Meer versinken, das auch den Balkon schluckte, auf dem Gregoria ausharrte.
    Sie rang nach Luft und sog das Blut ein, bis sie das Bewusstsein verlor und nach unendlich langer Zeit erwachte.
    Sie lag auf dem Petersplatz, vor ihr stand ein Mann in einer schwarzen Soutane mit langen roten Haaren und schwarzen Augen, der ein Holzkreuz auf den Schultern schleppte, wie es Jesus durch die Gassen nach Golgatha getragen hatte. Er beugte sich zu ihr hinab und prüfte die langen Nägel, die ihr durch die Hände und Füße geschlagen worden waren. Erst jetzt bemerkte sie ihre Wunden, der Schmerz erwachte, und sie wollte schreien, doch es kam nichts als das Blut des Königs aus ihrem Mund und rann warm an den Wangen hinab.
    »Äbtissin, denkt Ihr wirklich, dass Ihr Euer Ziel erreicht habt?«, fragte der Mann lachend und klopfte mit der rechten Hand auf das Kreuz. »Beinahe hättet Ihr mich hingerichtet, aber ich bedarf nicht einmal einer Auferstehung. Ich kehre bei Freunden ein.«
    Eine betagte Frau, deren Kleidung pompös und verschwenderisch war und um deren Hals ein goldenes russisch-orthodoxes Dreifachkreuz lag, trat an seine rechte Seite; von links nahte ein alter Mann in einer preußischen Uniform, der an einem Stock ging, aber dennoch unglaubliche Strenge und Disziplin ausstrahlte.
    Gregoria ahnte, was ihr die Vision zeigte. Zarin Katharina und der preußische König Friedrich II. die für Länder standen, welche die päpstliche Autorität nicht
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