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Sanctum

Sanctum

Titel: Sanctum
Autoren: Markus Heitz
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einmal zum Balkon hinauf. Er konnte sich nicht erinnern, jemals den Vater des Kindes gesehen zu haben oder dass dessen Name genannt worden war. Der Marquis schien sich nicht daran zu stören und war stolz, doch noch Großvater geworden zu sein. Einmal hatte Fleury das Kind gesehen, einen hübschen Jungen mit schwarzen Haaren und einem kleinen Muttermal unter dem rechten Auge. Oder war es das linke gewesen?
    Fleury beneidete still den Glücklichen, der es mit der bildhübschen Comtesse getrieben hatte. Ihm würde so etwas sicherlich niemals geschehen.
    »Ihr werdet meinen Vater verlieren, Monsieur«, rief sie ihm zu und lächelte. »Sputet Euch.«
    »Selbstverständlich, Comtesse«, sagte er und verneigte sich gefährlich tief, so dass er beinahe das Gleichgewicht verloren hätte.
    Als er wieder hinaufblickte, war sie verschwunden.

XXXI.
KAPITEL

    17. Dezember 1777, Umland von Rom, Italien
    Gregoria hustete lange, ehe sie erschöpft in die Kissen zurücksank. Ihr Atem ging rasselnd, sie bekam kaum Luft. In Rom wäre sie schon lange an ihrem Leiden erstickt, doch hier gewährte ihr die Frische der Berge einige Tage Aufschub.
    Sarai saß neben dem Bett und betrachtete das blasse, eingefallene Gesicht der Äbtissin. Es ging mit ihr zu Ende, die graubraunen Augen, die sonst unentwegt hell und wach schauten, schienen wie von einem Schleier verhüllt. »Haben wir etwas vergessen, Sarai?«, krächzte Gregoria angestrengt und wandte sich zur Seraph. Die Linke hielt den Rosenkranz umfasst, die Rechte nahm die Finger der jungen Frau.
    »Nein, ehrwürdige Äbtissin. Alles ist geregelt, wie Ihr es Euch wünschtet. Ich werde Eurer Nachfolgerin dienen, wie ich Euch diente.«
    Gregoria lächelte, ließ die Hand los, streichelte Sarais narbenverziertes Gesicht und schaute forschend in die blauen Augen. »Du hast noch mehr Sommersprossen bekommen«, sagte sie schwach.
    »Das kommt vom vielen Reisen, ehrwürdige Äbtissin. Wenn man die Orte aufsucht, an denen sich die Wandelwesen herumtreiben, gerät man in Hitze und Kälte.« Sarais Kehle wurde von ihrer Trauer zusammengepresst. »Mir ist die Hitze lieber.«
    Gregorias Arm wurde schwer, sie legte die Finger auf den Unterarm der Seraph. »Sag mir noch einmal, wie viele wir bis heute gerettet haben.«
    »Dreiundzwanzig haben wir dem Bösen entrissen und zu freien Menschen gemacht, vier davon schlossen sich der Schwesternschaft an. Vierzehn haben wir mit Silber erlöst«, zählte sie die Erfolge auf. »Und nicht zu vergessen die vielen Seelen, die nicht mehr in die Fänge der Jesuiten geraten werden«, fügte sie mit einem Lächeln hinzu. »Sie werden sich von ihrer Ächtung durch den Heiligen Vater nie mehr erholen.«
    »Damit kann ich beruhigt …« Ein neuerlicher Hustenanfall unterbrach sie, sie verschluckte sich sogar und übergab sich in die Schüssel, die Sarai ihr rasch hinhielt. Matt schloss sie die Augen. Die Seraph tupfte ihr vorsichtig Erbrochenes von den Lippen.
    »Ihr dürft nicht sterben«, flüsterte Sarai niedergeschmettert.
    »Ich denke, dass nicht wir das entscheiden«, sagte sie schwach, drehte den Kopf zum Fenster, hob die Lider und sah in die Wintersonne, die mit warmen, starken Strahlen in die Kammer leuchtete. »Es liegt in der Hand des Herrn.«
    Gregoria dachte an Florence, die mit Marianna und ihrem Mann glücklich in Frankfurt lebte. Es war nie mehr zu einem Treffen gekommen; zuerst hatte es die viele Arbeit gegeben, dann bald die Krankheit, die ein längeres Reisen nicht mehr erlaubte. Doch sie hatte sich über jeden Brief ihres Mündels gefreut, und jedes Jahr bekam sie ein Porträt von Marianna gesandt und erlebte mit, wie sich ihre Tochter veränderte. Nach eingehender Betrachtung wurden die Zeichnungen verbrannt. Niemand durfte wissen, wie das Kind aussah, das mehr und mehr Ähnlichkeiten mit ihr und Jean aufwies.
    Florence hütete Marianna wie ihr eigenes Kind, nachdem der Marquis mehr als zwei Jahre erfolglos nach ihrem Sohn gesucht hatte und schließlich aufgab, wie er in seinem letzten Brief mitteilte. Gregoria betete für die verlorene kleine Seele.
    Das gleißende Licht blendete sie, also schloss sie die Augen wieder und genoss die Wärme auf ihrem Gesicht. »Wohin ich wohl komme?«, flüsterte sie.
    Sarai strich ihr sanft mit einem kühlen Tuch über die feuchte Stirn. »Ins Paradies, Äbtissin. Ihr werdet vor Gott treten, und er wird Euch voller Freude willkommen heißen. Aber das hat noch Zeit. Ihr genest von diesem Leiden.«
    Gregoria erinnerte
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