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Salz der Hoffnung

Titel: Salz der Hoffnung
Autoren: Patricia Shaw
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meine, Ihr Großvater … er ist tot.«
            »Oh mein Gott.« Jessie ergriff Regals Hand. »Du mußt jetzt tapfer sein.«
            Großvater tot? Das war unmöglich. Selbst als sie einige Zeit später das Haus des Doktors verließen und die kleine Menge neugieriger Menschen passierten, die sich vor der Tür versammelt hatte, konnte sie es noch nicht richtig glauben. Doch als sie nachts in ihrem Bett lag und alles um sie herum still geworden war, ging ihr auf, daß sie jetzt ganz allein war. Sie weinte um ihren Großvater, beweinte seinen grausamen Tod; und sie hatte Angst, fürchtete sich vor ihrem eigenen Tod. Es war, als lauere er auf sie, warte nur darauf, auch sie zu holen.
             
            Die Kanzlei der Anwälte Rosonom und Kernicke lag in einer kleinen Seitenstraße nahe des Parks. Regal hatte das Sträßchen oft als Abkürzung auf ihrem Weg durch die Stadt benutzt, doch sie hätte nie geglaubt, daß sie einmal die Stufen zu diesem imposanten Gebäude hinaufsteigen würde, vorbei an den Messingschildern an der Tür, und als Kundin eintreten würde. Als Klientin.
            Angestellte saßen auf hohen Stühlen mit gesenkten Köpfen über ihre Pulte gebeugt, umgeben von endlosen Reihen ungleich hoher Regale, in denen Bücher und Akten unordentlich durcheinanderlagen und aussahen, als wollten sie jeden Moment herunterpurzeln. Tische standen überall herum, übersät mit noch mehr Akten. Manche waren mit roter Kordel zugebunden, und alle schienen darauf zu warten, daß man sich ihrer annahm. Kein Wunder, daß der alte Mr. Rosonom ihr gesagt hatte, sie müsse Geduld haben. Vermutlich hatte er Wochen gebraucht, um Großvaters Testament in diesem Durcheinander auch nur zu finden, geschweige denn zu bearbeiten. Sie hatte länger als einen Monat auf die Aufforderung gewartet, hier zu erscheinen.
            Eine Tür wurde geöffnet, und ein Mann steckte den Kopf hindurch. Er sah sie an und blickte dann zur Wanduhr. »Ah, Miss Hayes. Pünktlich, wie ich sehe. Immer ein gutes Zeichen.«
            Mr. Rosonom trug keinen Gehrock; sein gestreiftes Hemd wirkte zu weit und flatterte um seinen hageren Körper. Während er sie zur Treppe führte, kämpfte er sich in eine rote Samtjacke. »Sie kennen meinen Sohn Leonard?«
            »Ja, Mr. Rosonom.«
            »Gut. Er wird sich um Ihre Angelegenheiten kümmern. Und wenn er sich nicht genug Mühe gibt, dann kommen Sie zu mir und sagen mir Bescheid. Was Sie vor allem brauchen, ist Kontinuität – also jemanden Ihrer eigenen Generation. Ich war der Rechtsberater Ihres Großvaters, nun ist es das Privileg meines Sohnes, Sie zu betreuen. Kommen Sie bitte hier entlang.«
            Regal folgte ihm die Treppe hinauf. Leonard Rosonom. In der Schule war er einer der ›großen‹ Jungs gewesen. Eine Klasse über ihr. Diese Jungen hatten sie immer nervös gemacht, sogar Leonard, der ständig von seinen Mitschülern gehänselt wurde, weil er Jude war und obendrein auch noch eine Brille trug. Aber Leonard war sehr gescheit und er spielte allen Leuten Streiche. Ein weiterer Grund, warum die Mädchen ihm aus dem Wege gingen, alle außer Judith, die mit jedem Jungen fertig wurde. Und letztes Jahr hatten Leonard und Judith geheiratet.
            Regal wäre lieber bei dem alten Mr. Rosonom geblieben. Sie kam sich albern vor, Leonard jetzt unter die Augen zu treten, ganz in Schwarz wie eine alte Witwe, unansehnlich. Aber es blieb ihr nichts anderes übrig. Er stand hinter seinem Schreibtisch, als sein Vater in sein Büro stürmte.
            »Hier ist Miss Hayes. Kümmere dich um sie, Leonard, und verschwende nicht ihre Zeit, hörst du?«
            »Ja, Sir«, antwortete Leonard, und nachdem sein Vater verschwunden war, fragte er: »Möchten Sie nicht Platz nehmen, Miss Hayes?«
            »Regal. Mein Name ist Regal. Schon vergessen?«
            »Nein, natürlich nicht. Aber Vater besteht darauf, daß ich Sie mit dem angemessenen Respekt behandle.« Er lächelte plötzlich breit. »Ich werde mein Bestes tun. Die Sache mit deinem Großvater tut mir sehr leid, Regal. Es muß ein furchtbarer Schock für dich gewesen sein. Hast du dich inzwischen ein wenig davon erholen können?«
            »Ja, danke. Ich bin nur noch ein wenig durcheinander.« Sie wünschte, sie hätte das nicht gesagt, sondern irgend etwas, das mehr zu einer trauernden Enkelin gepaßt hätte. Ihre Nervosität
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