Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Salve Papa

Salve Papa

Titel: Salve Papa
Autoren: Wladimir Kaminer
Vom Netzwerk:
erleichtert und steckte das Teletubbie-Spiel sofort zurück in die Hosentasche.
    Lange Zeit störte ihn seine Sammlerneigung auch beim Fußballspielen. Er konnte keine Pässe schießen und zögerte jedes Mal, den Ball jemandem zuzuspielen. Deswegen stand Sebastian lange im Tor. In der letzten Zeit hat sich sein Verhalten gelockert, er kann jetzt Computerspiele tauschen und Pässe schießen. Neulich spielten sie auf dem Schulhof gegen die Riesenmädchen aus der sechsten Klasse. Genau genommen versuchten sie, den Riesenmädchen den Ball zu klauen und damit wegzurennen. Der Sinn dieses Spiels besteht darin, nicht von den Mädchen verprügelt zu werden. Mein Sohn und sein Freund Melvin klauten den Ball und rannten weg, ein Riesenmädchen rannte ihnen hinterher. Sebastian gab den Ball an Melvin ab, Melvin gab den Ball an Sebastian zurück, Sebastian wieder an Melvin – und der wurde daraufhin verprügelt. Das Mädchen war immer dem Ball hinterhergelaufen. Jetzt hat Melvin eine Beule am Kopf und Sebastian Gewissensbisse wegen der Ballabgabe.
     

Die Penner-Card
    In der Filiale der Deutschen Bank an der Schönhauser Allee haben sich drei Penner einquartiert, zwei Männer und eine Frau. Tagsüber sind sie so gut wie nie da, sie kommen nur zum Übernachten. Genau genommen ist es keine Filiale – die richtige Filiale ist oben im zweiten Stock –, sondern eine Geldausgabestelle, eine Art Garage mit Geldautomaten für den Fall, dass jemand nachts dringend Geld braucht.
    Die Menschen, die sich diese Filiale zum Nachtasyl ausgewählt haben, sehe ich fast jeden Morgen, wenn ich um sieben Uhr früh meine Tochter zur Schule bringe. Um diese Zeit schlafen sie noch. Die Frau liegt auf der Heizung quasi im Schaufenster unter dem großen Aufkleber »Deutsche Bank Ihre Beraterbank«. Sie liegt mit dem Rücken zur Straße, und ihr Gesicht ist nicht zu sehen, nur das Hinterteil und Wollsocken. Ihre Schuhe zieht sie aus und stellt sie unter die Heizrohre, damit sie trocknen, während sie schläft. Die beiden Männer liegen vor dem Geldautomaten auf einer Decke, die sie auf dem Boden ausbreiten.
    Die beste Freundin meiner Tochter, Melanie, deren Mutter just in dieser Filiale der Deutschen Bank arbeitet, erzählte uns, dass die Mitarbeiter dort ständig Ärger wegen der Penner bekommen. Angeblich hält sich durch diese Übernachtungen der Geruch von Kotze dermaßen hartnäckig in dem kleinen, gut beheizten Raum, dass sich schon mehrere Kunden, die am frühen Morgen zum Geldabheben dorthin kamen, auf der Stelle übergeben mussten. Einige beschwerten sich beim Filialleiter, der wiederum Melanies Mutter zusammenstauchte.
    »Wie kommen diese Penner überhaupt da rein?«, fragte meine Tochter Melanie. »Man braucht doch eine spezielle Kreditkarte, um die Tür zu öffnen. Haben die Penner etwa eine Kreditkarte?«
    »Natürlich nicht«, erklärte Melanie selbstbewusst. »Aber sie haben wohl eine spezielle Pennerkarte, die zwar zum Geld abheben nicht taugt, dafür aber die Türen aller Filialen der Deutschen Bank öffnet. Es ist eine Karte für Menschen, die sich aus finanziellen Gründen weder ein Hotel noch eine Wohnung leisten können. Meine Mutter weiß überhaupt nicht, was sie machen soll. Man darf diese Leute doch nicht einfach so rauswerfen.«
    Wir überlegten.
    »Sag deiner Mutter, sie soll dort eine Dusche einbauen lassen,« sagte meine Tochter. »Mit Toilette! Saubere Matratzen hinlegen und eine Putzfrau einstellen! Dann stinkt es bestimmt bald weniger in der Bank!«

Dein Schatz – mein Schatz
    Als Kinder hatten wir viele brutale Spiele in der Schule. Zum Beispiel spielten wir gern das Einbalsamierungsspiel »Lenin«. Es ging so, dass wir einen Mitschüler so lange in verschiedene Kleidungsstücke einwickelten, bis er sich nicht mehr bewegen und nicht mehr atmen konnte. Danach musste sich »Lenin« selbst befreien oder auf dem Schulhof verrecken. Wir spielten Feuerwerfer, indem wir die Haarspraydosen anzündeten und einander mit Flammen begossen, oder Kosmonauten, wobei jeder aus einem Fenster im zweiten Stock klettern musste.
    Am brutalsten war die sogenannte »Schatzsuche«. Dabei musste einer etwas, was ihm lieb und teuer war, verstecken, und die anderen hatten die Aufgabe, es zu finden. Wer den Schatz als Erster fand, wurde zu seinem neuen Besitzer und musste den Schatz neu verstecken. Jeder Schatzinhaber bekam Prügel ab und hat fast immer geweint, denn ohne Gewalt ging das Spiel nicht ab. Wir haben auf diese Weise früh gelernt,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher