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Salve Papa

Salve Papa

Titel: Salve Papa
Autoren: Wladimir Kaminer
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dass der Schatz des einen immer die Tränen des anderen bedeuteten. Das gilt auch in der Welt der Erwachsenen. In jeder Schatzkammer der Welt kann man Beweise dafür finden.
    Neulich waren wir in Wien. Es war kalt, und wir hatten nichts zu tun, also gingen wir in die Wiener Schatzkammer. »Tausend Jahre europäische Geschichte werden hier verwahrt«, stand im Touristenprospekt. Und tatsächlich sah ich, dass die Österreicher diese tausend Jahre nicht geschlafen hatten, sie waren sehr aktiv und sehr schlau gewesen. Alles, was sie in die Hände bekamen, landete sofort in ihrer Schatzkammer: die Krone einer chinesischen Prinzessin, ein Eierbecher des französischen Königs, ein Spazierstock des mexikanischen Gouverneurs usw.. Haben diese Leute ihre Sachen freiwillig den Österreichern übergeben, oder hat es brutale Kämpfe um den Eierbecher gegeben? Die Wahrheit ist in der Geschichte verborgen. Vielleicht lud der französische König einmal ein paar Österreicher zum Frühstück ein. Sie tranken Tee, plauderten ein wenig über die Weltpolitik und das Wetter …
    »Wollt ihr schon gehen? Na dann … Was für nette Leute, diese Österreicher«, freute sich der französische König. Nur konnte er anschließend seinen Eierbecher nicht mehr finden. Merkwürdig, dachte er, ich habe ihn doch gerade eben auf dem Tisch gesehen … »Hallo!«, rief er aus dem Fenster. Zu spät. Der Eierbrecher war schon längst über alle Grenzen in der Wiener Schatzkammer gelandet.
    Und die Sache mit dem mexikanischen Gouverneur? Wie ist er seinen Spazierstock losgeworden? Hatte ihm ein netter Österreicher über die Straße geholfen?
    »Vielen Dank, junger Mann!«
    »Ach was, keine Ursache, ich helfe immer gern … Sie haben aber eine tolle Krücke, darf ich sie mal ausprobieren? Ich bin gleich zurück!«
    Der mexikanische Gouverneur wartete und wartete vergeblich.
    Auch die chinesische Prinzessin hat wahrscheinlich geweint, als sie ihre Krone nach dem Empfang des österreichischen Botschafters nicht mehr auf dem Kopf fand. Ihre Eltern haben bestimmt mit ihr geschimpft:
    »Na, du? Schon wieder die Krone verloren? Kriegst keine neue mehr, es reicht jetzt!«
    Gott, hat sie geweint!
    Nun heißt das Ganze aber »Tausend Jahre europäische Geschichte«, Österreich ist ein zivilisiertes Land geworden und die Wiener Schatzkammer steht Touristen aus aller Welt offen. Man zahlt sieben Euro, Studenten natürlich weniger, und jeder kann alles angucken, nur nichts anfassen – da werden die Österreicher nämlich sauer. Auf mich hat diese Sammlung großen Eindruck gemacht. Wenn ich in Zukunft Besuch aus Österreich bekomme, lasse ich aber für alle Fälle meine Eierbecher im Schrank. Die kriegen sie nicht.
     

Egal
    Vieles, was mich früher aufgeregt hat, ist mir heute egal. Früher war mir nicht alles egal. Ich war zum Beispiel politisch engagiert und konnte etliche Politiker auf Photos erkennen, selbst wenn die Bilder nicht untertitelt waren. Eine ziemlich herausragende Leistung, wenn man bedenkt, wie gleich unsere Politiker aussahen.
    Ich weiß nicht, wie es hier in Deutschland war, aber die sowjetischen Führer sahen alle aus wie greise Zwillinge: immer die gleiche Frisur, der gleiche Anzug, der gleiche, auf dem harten Asphalt der politischen Wirklichkeit geschliffene Gesichtsausdruck. Männer ohne Eigenschaften, so, als hätten sie sich schon in frühester Kindheit auf eine lange Flucht vorbereitet. Keiner von ihnen besaß irgendwelche besonderen Merkmale, große Ohren oder überlange Nasenhaare, ganz zu schweigen von einprägsamen Gesichts-Tattoos. Diese Politiker sahen nicht aus wie das Produkt der sexuellen Lust ihrer Eltern; sie waren alle in einer unterirdischen Kremlwerkstatt am Fließband angefertigt worden.
    Inzwischen haben die russischen Politiker an Gesichtsfarbe gewonnen, sie tragen sogar unterschiedliche Krawatten, kämmen ihre Nasenhaare mal nach links und mal nach rechts, sind mir aber völlig egal. Auch die deutschen Politiker kann ich nicht mehr auseinanderhalten. Den Kanzlerwechsel habe ich lange Zeit nicht wahrgenommen, bis mein damals sechsjähriger Sohn mich darauf aufmerksam machte, dass mit dem Bundeskanzler etwas nicht mehr stimmte.
    »Schau genau hin, Papa, der alte war ein Junge, der neue ist ein Mädchen«, klärte er mich auf. Mein Sohn wollte das Thema weiter vertiefen und mir spezifische körperliche Kanzlerunterschiede beschreiben, aber ich verzichtete. Doch man sah, dass er sich mit bestimmten Dingen viel besser
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