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Salve Papa

Salve Papa

Titel: Salve Papa
Autoren: Wladimir Kaminer
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anfangen. Ob die sozialistisch-atheistische Erziehung daran schuld ist und die damit verbundene Frühreife, die uns schnell aus dem Elternhaus vertrieb? Der Gedanke der Gemütlichkeit ist meinem Freundeskreis jedenfalls fremd geblieben. Händchen haltend um die Weihnachtskrippe herumsitzen und fette Vögel essen, alle zusammen und zur gleichen Zeit? Nein danke! Unsere ganze Feierkraft gilt Silvester, dem größtmöglichen Verstoß gegen die Gemütlichkeit in diesem Land.
    Zu unserem Silvesterverständnis gehört ein Feuerwerk, das nicht nur aus babyfreundlichen Kinderknallern besteht. In der Regel bestellen wir im Internet um die vierzig Kilo Space Sound Rockets, Dragon Comets und anderen chinesischen Sprengstoff mit ähnlich lustigen Namen. Man darf das allerdings wegen der möglichen tiefen Verletzung der Gemütlichkeit nur als Firma bestellen, nicht als Privatperson. Eine Eintragung in das Handelsregister muss vorgelegt werden, die »eine spätere Nachprüfung ermöglicht«. So steht es im Formular – klein geschrieben.
    Bis jetzt ist allerdings noch niemand gekommen, um nachzuprüfen. Sie beobachtet uns noch, die streng geheime deutsche Gemütlichkeitsbehörde, zuständig für die Überprüfung des ordnungsgemäßen Verbrauchs von Silvesterfeuerwerken. Ich weiß, irgendwann kommen sie, Männer in schwarzem Anzug und Sonnenbrille. Eines Tages im August werden sie an meine Tür klopfen: »Russendisko Records? Haben sie noch Silvesterfeuerwerk übrig? Letztes Jahr hat Ihre Firma sage und schreibe vierzig Kilo Space-Raketen bestellt. Wo sind die jetzt, und was haben Sie damit vor?«
    Den Kern jeder anständigen Silvesterparty bildet neben dem Feuerwerk ein möglichst hoher, kräftiger und gut geschmückter Tannenbaum. Leider werden die Tannen in Deutschland völlig intolerant nur bis Heiligabend verkauft, sind also meist schon ausverkauft, wenn man sie eigentlich braucht. Wir warten bis zum letzten Tag. Am frühen Nachmittag des Heiligen Abends kaufen wir den höchsten und klumpigsten Tannenbaum, der noch zu finden ist. Die Tannenbaummärkte sehen an diesem Tag geplündert und verlassen, die letzten Räume irgendwie massenvergewaltigt aus. Überall auf dem Boden liegen Tannenreste, Handschuhe und geplatzte Plastiknetze, die man zum Einwickeln der Bäume benutzt. In der Regel sind die Verkäufer am frühen Heiligen Abend nicht mehr ansprechbar, vereist und eingefroren und können Geldscheine nur noch mit den Zähnen annehmen. Fast immer wartet jedoch ein letzter toller Baum auf uns in einer Ecke – ein Wunder!
    Zu Hause geben wir dem Baum viel Wasser, damit er länger hält, schmücken ihn schön mit Lametta und legen viele tolle Geschenke unter die Zweige, die wir uns selbst und einigen Freunden, die mitfeiern, gekauft haben. Das soll eigentlich der Weihnachtsmann erledigen, aber weil wir wissen, dass es ihn nicht gibt, machen wir es lieber selbst. Sicher ist sicher. Auf den Weihnachtsmann war nie Verlass. Als Kind habe ich von ihm nur Scheiße geschenkt bekommen. Deswegen gelang es mir nie so recht, an ihn zu glauben.
    Mein Glaube an den Weihnachtsmann erlosch vollends, nachdem ich in Moskau das größte Tannenfest des Landes besucht hatte. Ich war damals zehn oder elf Jahre alt, und mein Vater hatte die Karten für viel Geld in seinem Betrieb besorgt. Das Fest sollte in dem Gebäude neben dem Kreml stattfinden, das für Parteitage und andere feierliche Anlässe benutzt wurde. Das »Jolkafest im Kreml« war in Wirklichkeit eine Eisrevue. Es handelte sich um eine dreistündige Vorstellung mit den »besten Artisten des Landes«. Am Ende wurde eine »Verteilung von besonders wertvollen Geschenken durch den Kremlweihnachtsmann« angekündigt. Ich war zuerst unentschlossen, doch dieser letzte Punkt war ausschlaggebend für meine Entscheidung hinzugehen. In meiner Phantasie ergaben die Wörter »Kremlweihnachtsmann« und »besonders wertvoll« nebeneinander geschrieben locker ein Moped. Na gut, eine E-Gitarre. Mindestens aber eine Eishockeyuniform mit den Autogrammen meiner Lieblingsspieler auf den Ärmeln.
    Ich setzte also große Hoffnungen auf den Kremlweihnachtsmann. Drei Stunden mussten tausend Kinder in der Eishalle ausharren, bis alle Schneewittchen und das restliche Pack vorbeigelatscht waren und das Kommando zum Geschenkeverteilen kam. Sofort bildeten sich große Schlangen vor den Geschenkausgabestellen. Nach einer Stunde Schlangestehen verließ ich die Eishalle mit einer zerstampften Tüte Süßigkeiten und
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