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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition)
Autoren: Tom Robbins
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die auf unsere Augen normalerweise sekundär, leer, schemenhaft wirken. Und das alles sah sie auf dem Kopf oder auf der Seite stehend, und immer war ihr dabei übel. Was Wunder also, dass sie Boomer Petways Gewohnheit, Kühe zu zählen, ein bisschen albern fand?
    Schon im Kindergarten konnte Ellen Cherry besser zeichnen als jedes andere Kind in ihrer Gruppe, und daran änderte sich bis zum Abschlussexamen in der Highschool nichts. Bei allem Respekt vor Patsys Einbildung: Das war ein Talent, das sie von ihrem Vater geerbt hatte. Als Ingenieur konnte er meisterhafte Grundrisse und technische Zeichnungen hinzaubern. (Von ihrer Mutter hatte sie, abgesehen von einer lebhaften Phantasie, den quecksilbrigen Körper geerbt, perfekt geformte Brüste, die – Grapefruit-Prinzessin hin, Grapefruit-Prinzessin her – in der Skala der Zitrusfrüchte eher zur Mandarinenseite neigten, die freche Stupsnase, den Schmollmund, große blaue Augen und eine wirre Masse karamellfarbener Locken, die, ganz gleich, wie sie gebändigt wurden, immer aussahen, als hätten sie im ersten Teil von
The Wizard of Oz
die Hauptrolle gespielt. Ellen Cherrys Haar allerdings drehte seine eigenen Dinger.) Jede Schule hat ihren inoffiziellen Künstler, nicht wahr, und natürlich war es auf der Highschool Ellen Cherry. Im Lauf der Jahre, als sie lernte, das optische Erz zu veredeln, das sie auf ihren Ausflügen nach Florida förderte, wurden ihre künstlerischen Projekte immer abenteuerlicher und komplexer. Sie verlor ihre lokale Anhängerschaft. Klassenkameraden machten grausame Bemerkungen. Sie hörte nicht darauf. Sie hatte beschlossen, Malerin zu werden.
    In Colonial Pines gab es weniger Kunst als Pornographie im Wohnzimmer eines Quäkers. Wie es gelegentlich vorkommt, verwandelte sich der schiere Mangel an kultureller Inspiration in eine kulturelle Inspiration. Ellen Cherry sah in der Kunst einen Wegweiser, der eindeutig von Colonial Pines wegführte. Die Kunst würde Ellen Cherry auf einem fliegenden Teppich aus dieser Gemeinde herausholen, deren einziges Kino ein schäbiges Drive-in war, das nur deshalb noch existierte, weil es Liebespaaren als Ersatz für verschwiegene Gässchen diente.
    Im letzten Highschool-Jahr, als Ellen Cherry unter einer chronischen Krankheit litt, die Patsy aus langer Erfahrung am eigenen Leib als «Hummeln im Hintern» bezeichnete, besuchte sie in Begleitung von Boomer Petway regelmäßig jeden Freitagabend die Filmvorführungen dieses Drive-ins. Im folgenden Herbst, wenn sie auf die Kunsthochschule wechselte, würde sie den guten Boomer nie wiedersehen, dachte sie, und das war ihr eigentlich ganz recht. Doch schon in der ersten Nacht, die sie im Erstsemester-Mädchenflügel verbrachte, hörte sie gegen zwei Uhr Geräusche an ihrem Fenster – und dann kam Boomer hereingeklettert, eine Dose Pabst in der Faust und eine Rose zwischen den Zähnen. Er war auf der Harley seines Bruders nach Richmond gebraust und hatte dann drei Stockwerke hoch eine tückische, efeubewachsene Mauer erklommen. Boomer war nämlich bis über beide Ohren, mordsmäßig und – das muss zu seiner Ehre gesagt werden – aufrichtig verknallt.
    «Das kannst du mir nicht antun», flehte Boomer, als Ellen Cherry versuchte, ihn wieder durch die Fensteröffnung zu bugsieren. «Du musst wieder nach Hause kommen. Bei mir bleiben. Nach allem, was wir zusammen erlebt haben! Wir – wir haben uns in dem Motel damals als Mann und Frau eingetragen! Du hast – du hast es mir mit dem
Mund
gemacht!»
    «Du hättest eben das Kleingedruckte lesen sollen, Schatz», flüsterte Ellen Cherry und versuchte, ihm so leise wie möglich die Efeuranken hinabzuhelfen. «Dass ich dir mal einen geblasen habe, heißt noch lange nicht, dass du lebenslänglich Garantie darauf hast.»
    I & I

Letztendlich muss man den Truthahn als Monument für Boomers Liebe sehen.
    Schau ihn dir an, wie er schwer und glänzend über Idaho hinwegschwebt, als wäre er eine überdimensionale, mutierte Samenkapsel. Hör zu, wie der Auspuff knallt, wenn er an den Silberminen vorbeikommt: Vielleicht ist das sein Tribut an die Herkunft von Messern und Gabeln aus prachtvollem Sterlingsilber, die der Truthahn, und allein der Truthahn mit seinem Charisma, aus dunklen Schubladen auf festlich gedeckte Tafeln zu locken vermag.
    Sieh nur, wie gemütlich er durch die Kartoffelfelder schaukelt, denn mit Kartoffeln steht er auf gutem Fuß, aber zugleich ist da ein Ausdruck freudiger Erwartung auf seinem Gesicht,
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